No. XXXI Tomasz F. Krawczyk, Polen

Für einen jungen Menschen, der Mitte der Achtziger Jahre in einer deutsch-polnischen Familie in der DDR geboren wurde, ist es fast unmöglich sich in die Atmosphäre des Prager Frühlings und den darauf folgenden Einfall der Armee des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei hineinzufühlen.
Auf die Hekatombe des II. Weltkrieges folgten in Mittel- und Osteuropa die Schrecken des stalinistischen Terrors, und dann das erdrückende Grau in Grau des kommunistischen Alltags, mit all seinen Begrenzungen der persönlichen Freiheit und Verbrechen gegen die Menschenrechte. Ein
erstes, tiefergreifendes Zeichen des Widerstands und Verlangen nach Freiheit setzen die Ungarn 1956 und wurden unter den Augen der westlichen Welt durch die sowjetische Armee niedergeschlagen. Der Frühling der Freiheit, nach Jahren des kommunistischen Winters, sollte
erst wieder 1968 in der Tschechoslowakei zurückkehren. Aber auch dieses Mal wurde die Freiheit wieder mit den Stiefeln der Soldaten in der Nacht vom 20. auf den 21. August niedergetreten.
Die Teilnahme der polnischen Armee an diesem Akt des Schreckens bleibt eines der dunkelsten Kapitel der polnischen Nachkriegsgeschichte, für die man nur immer wieder um Vergebung bitten kann und muss. Aber nicht alle haben sich unter den Kolben der Soldaten weggeduckt, wie die zu tiefst dramatischen Selbstverbrennungen des ehemaligen Soldaten der polnischen Untergrundarmee Ryszard Siwiec und des Prager Studenten Jan Palach gezeigt haben. Daher müssen wir uns nicht nur immer wieder an den Preis der Freiheit, den die Ungarn, die Tschechoslowaken und die Polen gezahlten haben, erinnern, aber wir müssen unsere Freiheit leben und gestalten.

Tomasz F. Krawczyk – ehemaliger Europapolitischer Berater des polnischen Premierministers, Experte für Europapolitik, TT: @TFKrawczyk