Wie geht’s Grün?

Mein Beitrag aus dem Forschungsjournal Soziale Bewegungen: “Wie geht’s Grün?” vom August 2011: Könnte es den Grünen besser gehen? Wieso geht es ihnen eigentlich, wie es ihnen geht? Eine kurze Analyse mit vier Gründen für die aktuellen Entwicklungen der Grünen

(Photo credit: Dima Konsewitch, flickR)

 

 

Wie geht’s Grün?

 

Reinhard Bütikofer

Anfang August 2011 liegen Bündnis 90/Die Grünen im renommierten „Deutschlandtrend“ der ARD bundesweit bei 23 Prozent. Zusam­men mit der SPD kommen sie auf eine Umfra­ge-Mehrheit von 51 Prozent, so viel wie seit elf Jahren nicht mehr. 23 Prozent der Stim­men bedeuteten, wenn denn aus der Umfrage ein entsprechendes Wahlergebnis würde, mehr als 150 Grüne Sitze im Bundestag. Derweil weist, ebenfalls Anfang August, Cem Özde­mir noch einmal die Frage nach einem mögli­chen Grünen Kanzlerkandidaten zurück, jedenfalls für die Zeit, in der sie sich noch nicht stellt. Später wird man weiter sehen und sicher allem gewachsen sein.

1. | Könnte es den Grünen besser gehen? Wieso geht es ihnen eigent­lich, wie es ihnen geht?

Es ist viel zusammen gekommen, um den nun schon über ein Jahr dauernden Grünen Hö­henflug möglich zu machen. Da mischen sich Ergebnisse grundlegender Verschiebungen mit Erfolgen guten politischen Handwerks, mit politischen Konjunkturen und – schlicht – dem Glück der Tüchtigen. Diese Mischung hat sich noch nicht gesetzt. Es ist keineswegs sicher, dass alle Ingredienzien auf Dauer zur Verfü­gung stehen werden, von denen die Fortset­zung des Erfolgsweges abhängt. Über einen eventuellen Grünen Wahlerfolg 2013 lassen sich deshalb aus der aktuellen Lage nur begrenzt Prognosen ableiten. Zwischen 15 Prozent und 25 Prozent ist alles möglich. Aber für eine Partei, deren Allzeithoch bei einer Bundestags­wahl bisher unter 11 Prozent lag, 2009 erreicht, bedeutete selbst ein Wahlergebnis 2013 im unteren Bereich dieser Spannbreite eine quali­tative Veränderung. Bündnis 90/Die Grünen sind keine kleine Partei mehr, sondern sie sind zu einer mittelgroßen Partei geworden. Zu ei­ner mittelgroßen Partei, die im optimalen Fall in der Lage sein kann, mit Union und SPD einen Dreikampf auf Augenhöhe um die poli­tische Hegemonie im Land auszutragen.

1.1 | Vier Gründe für das „Hoch“

Der aktuelle Grüne Erfolg in Umfragen und Wahlen begann nicht plötzlich, sondern er kam sozusagen mit Anlauf. Bereits seit einigen Jah­ren haben Bündnis 90/Die Grünen in zahlrei­chen Wahlen auf Landesebene zugelegt. In je­der Landtagswahl hatte das natürlich immer spezifische Gründe. Aber es gab dabei auch wichtige Gemeinsamkeiten. Vier will ich her­vorheben.

(1) Der seit 2005 entwickelte und 2008 schließlich innerparteilich von allen Seiten un­terstützte Kurs Grüner Eigenständigkeit hat die Partei aus dem Prokrustesbett des soge­nannten „linken Lagers“ befreit, ohne in in­haltliche Beliebigkeit oder gar politische Äqui­distanz gegenüber Union und SPD zu verfal­len; die größere programmatische Nähe zur SPD blieb eindeutig. Mit dem Kurs Grüner Eigenständigkeit wurde Grüne Verlässlichkeit aber nicht mehr in erster Linie mit Antworten auf die Frage: „Mit wem koaliert Ihr?“ ver­knüpft, sondern mit möglichst klaren Antwor­ten auf die Frage: „Was werdet Ihr tun, wenn Ihr regiert?“ In der Aussage: „Wir sind keine Bindestrich-Grünen!“, nicht rot-grün oder schwarz-grün, sondern Grün, wurde de facto, ohne dass das oft so genannt worden wäre, die Perspektive eines Grünen Lagers eröffnet. Die­ser Kurs stärkte Grünes Selbstbewusstsein. Aus dieser Haltung heraus ließ sich die Diskussion etwa in Hamburg darauf lenken, was bei einer schwarz-grünen Koalition erreicht werden müs­se, statt darauf, ob sie denn überhaupt sein dürfe. Und als in Hamburg das schwarz-grüne Bündnis zerbarst, geschah das nicht deswegen, weil es nie hätte begonnen werden dürfen, sondern weil es nicht (mehr) liefern konnte, was Grüne (sich) versprochen hatten. Der Kurs Grüner Eigenständigkeit öffnete auch Stück für Stück Türen zu Grün für Menschen aus dem selbsterklärten „bürgerlichen“ Lager. Kam der Grüne Zuwachs in Wählerwanderungsana¬lysen früher lange zehnmal so stark von ehe¬maligen SPD-WählerInnen wie von ehemaligen Unions-WählerInnen, so war bei der Landtags¬wahl 2011 in Baden-Württemberg das Verhält¬nis etwa 1:3 (Union:SPD).

(2) Grüne in verschiedenen Bundesländern verankerten sich dort ziemlich systematisch in den spezifischen politischen und gesellschaftli­chen Kulturen, und sie brachten eine gute Anzahl von Führungspersönlichkeiten auf Län­derebene hervor, die in unterschiedlicher Wei­se die Kombination von Grün und Heimat hervorragend personifizierten und mit ihrer persönlichen Ausstrahlung weit über den sonst erreichbaren Bereich hinaus wirkten. Zu nen­nen wären etwa der verstorbene Sepp Daxen­berger in Bayern, Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, Tarek Al Wazir in Hes­sen, Eveline Lemke in Rheinland-Pfalz, Karo Linnert in Bremen, Sylvia Löhrmann in NRW, Antje Hermenau in Sachsen, Robert Habeck in Schleswig-Holstein, Axel Vogel in Branden­burg. Die Kandidatur von Renate Künast in Berlin gehört auch in diese Reihe.

(3) Thematisch haben sich Grüne in den letzten fünf Jahren verstärkt um Bildungspoli­tik und Wirtschaftspolitik gekümmert. Beides hat das dominierende Grüne Kompetenzprofil in den Bereichen Umwelt, Energie und Klima, Soziales, Bürgerrechte, Integration ergänzt und damit Grüne Attraktivität erhöht. Damit soll nicht behauptet werden, dass besonders viele Menschen Grüne wegen ihrer Wirtschaftspoli­tik wählten. Aber ein verstärktes wirtschafts­politischen Engagement erleichterte es denen, die Grüne aus Gründen der Umwelt- und En­ergiepolitik schon lange gewählt hätten, aber durch Skepsis bezüglich der klassischen „bread and butter issues“ gebremst wurden, dann doch den Schritt zu Grün zu tun. Mit dem Konzept des „Green New Deal“, das sich die Partei erstmals 2008 zu eigen machte und das mak­roökonomische, industriepolitische und sozia­le Fragen verknüpft, gelang es, einen breiteren Bogen für eine eigene ökonomische Reform­politik zu spannen und damit gerade in der Phase der Wirtschafts- und Finanzkrise einen wirtschaftspolitischen Alternativdiskurs zu er­öffnen, dem weder SPD oder Linkspartei noch Union oder FDP etwas Ebenbürtiges entge­genzusetzen hatten. Ansatzweise ging der „Deutschlandplan“ Steinmeiers 2009 in eine vergleichbare Richtung, aber die SPD begriff diesen nie als eine wirkliche Chance. In der Bildungspolitik war die Verknüpfung von indi­vidueller Förderung der Kinder und längerem gemeinsamem Lernen ein erfolgreicher Kurs. Die Fehler, die in diesem Bereich in Hamburg gemacht wurden, brachten das Thema sehr ins Stocken. Erst die flexiblere Schulpolitik Syl­via Löhrmanns in NRW konnte den Schaden begrenzen und erneut Vertrauen begründen.

(4) Die Bundesführung von Bündnis 90/ Die Grünen würde möglicherweise den stren­gen politologischen Kriterien nicht entsprechen, nach denen Raschke/Tils (2011) die Existenz eines strategischen Zentrums bemessen. Aber sie hat, mit Ausnahme des Afghanistan-Son­derparteitages 2007 in Göttingen, bei dem die Führung zerstritten auftrat und dafür abge­straft wurde, ein hohes Maß an Geschlossen­heit und gegenseitige Loyalität nach außen an den Tag gelegt. Manche Umfragen beschei­nigten den Grünen sogar höhere Geschlossen­heit als allen Konkurrenten. Die Rückkehr der Grünen in die Opposition 2005 brachte nicht die Rückkehr in die alten Strömungskriege. Die personelle Vielfalt in der Führung – Rena­te Künast, Claudia Roth, Cem Özdemir und Jürgen Trittin sprechen ja durchaus unterschied­liche Milieus von WählerInnen besonders posi­tiv an – erwies sich als Stärke auf der Basis der Tatsache, dass die generelle Richtung nicht grundsätzlich streitig war. Strategiebildung bei den Grünen muss ohnehin teilweise mit anderen Kriterien beurteilt werden als bei anderen Parteien, weil die starke Einflussnahme durch die Parteibasis auf Parteitagen bei anderen Par­teien keine Entsprechung findet. Auch zwei Spitzenkandidaten, die sich darin völlig einig sind, können, so geschehen vor dem Sommer 2009, nicht gegen die Basis eine Ampel-Koali­tions-Perspektive ins Spiel bringen. Umgekehrt zeigt der Sonderparteitag 2011 zum Atomaus­stieg, wie die ernsthafte öffentliche Debatte mit der Parteibasis ein hohes Maß an Geschlos­senheit schaffen kann, wo zahlreiche Kommen­tatoren noch kurz vorher von drohenden Zer­reißproben schwadronierten. Pointiert könnte man vielleicht sagen: Was derzeit den Grünen abgeht, weil sie nicht auf eine Person zuspit­zen, das gleichen sie an Führungsfähigkeit dadurch aus, dass sie ihre innerparteiliche De­mokratie ernst nehmen.

2 | Grüne Botschaftsdisziplin

Es ist also, seit die Grünen aus der Bundesre­gierung ausscheiden mussten und auch noch Joschka Fischer von Bord ging, einiges richtig gemacht worden, was zu Grünem Zuwachs beigetragen hat. Allerdings wäre der Sprung über die 20-Prozent-Marke wohl kaum ohne die aktive Mithilfe der politischen Konkurrenz so schnell gelungen.

Die SPD, die zur Bundestagswahl 2009 so tat, als seien die Kontroversen um die Schrö­der-Politik längst in den Bereich der Ur- und Frühgeschichte verwiesen worden, wurde tat­sächlich durch ihre innere Zerrissenheit weiterhin massiv behindert. Ihre Marke „Sozial“ ist nach wie vor beschädigt. Erst Olaf Scholz in der besonderen Situation der Ham-burg-Wahl schaffte es, wieder klar über das SPD-25-Prozent-Milieu hinaus attraktiv zu er­scheinen. Bisher steht er damit allein. In NRW, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz re­giert die SPD trotz schlechter Ergebnisse. Eine geschwächte SPD ließ Platz für Grün.

Schwierigkeiten mit der Pflege ihrer tradi­tionellen Marken – „Christlich“ und „Liberal“ – haben auch die Parteien der Regierungskoa­lition. Dazu kommt schlechtes Handwerk an­gesichts enormer Herausforderungen. Es wür­de langweilen, die lange Liste von Fehlleistun­gen, die mit „Mövenpick“ beginnen, hier noch einmal aufzuzählen. Einzeln sind viele davon so oder anders erklärbar. Aber insgesamt er­gibt sich das feste Bild grandioser Orientie­rungslosigkeit und weitgehenden Sinnverlustes. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa in der Europa-Krise immer lange und entschie­den „Nein“ sagt, bis sie dann zuletzt ein biss­chen „Ja“ sagt, zerstört unendlich viel politi­sches Kapital.

Die Linkspartei hat sich, seit Oskar Lafon­taine ihre ostdeutschen Realos mit Gregor Gysis Hilfe besiegte und dann überforderten Diado­chen Platz machte, auf den Weg einer quälen­den Zersetzung begeben.

Gegenüber dieser Konkurrenz konnten die Grünen schon dadurch glänzen, dass sie nichts falsch machten. Doch dann verhalf Angela Merkel den Grünen mit der wahnwitzigen Entscheidung für den Ausstieg aus dem Atom­ausstieg im „Herbst der Entscheidungen“ noch zu einer dreifachen Chance: der Chance, für die Mehrheit der Menschen im Lande zu spre­chen, die keine Laufzeitverlängerung wollten; der Chance, parlamentarische Arbeit mit Be­wegungspolitik zu verbinden und damit the­matisch und sozial Raum zu gewinnen; und vor allem der Chance, zu zeigen, dass es eine Partei gibt, deren Markenkern, deren „brand“ intakt ist, die zu ihren Kernwerten unverbrüch­lich steht, bei der man weiß, was man hat und bekommt.

Die Grünen haben diese Chance genutzt. Sie haben dabei eine Botschaftsdisziplin entwi­ckelt wie sonst zuletzt nur Lafontaines Linke vor der Bundestagswahl 2009. Eine ähnliche Chance bot die Union dann nochmal, in be­grenzterem Umfang, im Zusammenhang mit Stuttgart 21. Wohlgemerkt: Hätten die Grü­nen nicht vorher schon über 30 Jahre für den Atomausstieg und die Wende zu den Erneu­erbaren Energien gekämpft und hätten sie nicht vorher schon 15 Jahre Stuttgart 21 kritisiert, sie hätten nicht eine so hohe Durchschlagskraft entwickeln können. Die Union versuch­te einerseits, mit dem Vorwurf der „Dagegen“-Partei zu punkten, stärkte andererseits die Grünen aber dadurch, dass sie sie zu Haupt­gegnern adelte. Das Ringen zwischen Union und Grünen stand unentschieden, an sich schon bemerkenswert! Die Grünen lagen in Umfra­gen bei 20 Prozent, als Fukushima zum Syno­nym für Katastrophe wurde. Nach Fukushima war die „Dagegen“-Partei offenkundig im Recht – und Angela Merkel konnte sich nur noch aussuchen, wie sie verlieren wollte, schnell und unglaubwürdig oder quälend und sich selbst lähmend.

3 | Grüne geben Richtung

Manche Kommentatoren rechnen nun damit, dass die Themenkonjunktur für die Atompoli­tik abflaut und das baden-württembergische S21-Hoch sich sogar zu einer Belastung für Grün wandeln wird. Deswegen sagen sie ab­nehmende Grüne Ergebnisse voraus. Zugege­ben, das ist möglich. Selbstverständlich ist es nicht.

Die Grünen haben in der Atompolitik his­torisch Recht behalten. Der Sonderparteitag hat das festgeschrieben. Alle Parteien haben das nolens volens quittiert. Das Thema wird gewiss konjunkturell an Aufmerksamkeit ver­lieren, aber jeder kleine, regionale Konflikt um die Umsetzung des Atomausstiegs aktualisiert erneut den größeren Zusammenhang. Zudem ist Grüne Energiepolitik auch profilierte Ein­stiegspolitik in die Erneuerbaren Energien. Schließlich aber, und das ist von enormer stra­tegischer Bedeutung: Mit dem durchgesetzten Atomausstieg haben sich die Grünen als Partei erwiesen, die in der Lage ist, in einer Frage von zentraler ökonomischer und politischer Bedeutung gegen massivste Widerstände dem Land eine zukunftsfähige Richtung zu weisen. Das bedeutet ein riesengroßes Pfund angesichts der allgemeinen Suche nach Richtung! Grüne haben sich in einer langen, fundamentalen Auseinandersetzung als vertrauenswürdig erwie­sen. Dadurch sind sie in eine andere Liga auf­gestiegen. Oder, um es im Bild von einer Fuß­ballmannschaft zu sagen, sie kommen jetzt als Führungsspieler in Betracht. Das kann ein Auf und Ab von Themenkonjunkturen mehr als ausgleichen.

Mit Blick auf Stuttgart 21 hängt viel dar­an, wie der weitere Konflikt formatiert wird. Bleibt es eine Ja-Nein-Frage zu einem konkre­ten Projekt, haben Grüne nichts zu gewin­nen. Gelingt es aber, den Fokus darauf zu setzen, dass in einer Demokratie das Volk aktiv und angemessen beteiligt werden muss und gegebenenfalls auch ein Urteil zu spre­chen hat, und kann Ministerpräsident Kretsch­mann das mit seinem Grundthema der „Poli­tik des Gehörtwerdens“ verbinden, dann müs­sen die Grünen daran keinen großen Schaden nehmen.

Umgekehrt erwächst Grün aus der domi­nierenden Rolle in der Stuttgarter Landesre­gierung neues Potential. Winfried Kretschmann hat im neuen Amt etwa zur Automobilindus­trie noch nichts gesagt, was Grüne nicht vorher, ihn selbst eingeschlossen, schon sehr oft ge­sagt hatten. Weil er es aber jetzt als Minister­präsident sagt, trägt der Schall weiter. Bun­desweit. Natürlich hat auch Jürgen Trittin als Umweltminister de facto Wirtschaftspolitik gemacht. Aber nun haben Grüne mit Kretsch­mann und Eveline Lemke in Mainz erstmals zwei Regierungsleute, die explizit für Wirt­schaft verantwortlich sind. Darin sehe ich Chan­cen.

Es hat in Baden-Württemberg bei den 24,2 Prozent, die Grün gewählt haben, sicher auch solche gegeben, die nicht aus gefestigten pro­grammatischen Gründen abstimmten, sondern weil sie schlicht, nachdem sie von CDU/SPD/ FDP enttäuscht waren, bevor sie vielleicht gar nicht mehr zur Wahl gehen, es noch einmal mit den Grünen probieren wollten. „Vielleicht sind die ja anders.“ Diese Menschen müssen von den Grünen eigentlich erst noch gewon­nen werden, nachdem sie ihre Stimme schon haben. Vielleicht springen sie aber wieder ab, so dass bzw. wenn in Berlin die grünen Bäume nicht in den Himmel wachsen. Mit Blick auf 2013, und dieses Datum stürzt schon auf uns zu, werden Bündnis 90/Die Grünen gewiss nicht erfolgreich sein, wenn sie versuchen sollten, die jetzigen guten Zahlen irgendwie über die Zeit zu retten. Wenn je­mand sich als Führungsspieler bewirbt, wer­den auch höhere Anforderungen an ihn ge­stellt. Erfüllt er die nicht, ist man rasch wieder ins 2. Glied versetzt.

Falsch machen könnte man in der Lage der Grünen viel. Zum Beispiel schon mal anfan­gen, sich intern um später zu vergebende Pos­ten so zu rangeln, dass es nach außen unange­nehm auffällt. Oder auf parteiinterne Nabel­schau zu setzen, weil man sich lange davor drücken will zu entscheiden, welche Spitzenkan­didatInnen 2013 ganz vorne stehen sollen. Oder Widersprüche in der eigenen Politik nicht the­matisieren. Oder die heißen thematischen Ei­sen nicht anpacken, die nicht nur unter Fach­leuten konzeptionell besprochen, sondern auch öffentlich erörtert werden müssen, bevor man mit dem Regieren anfangen kann. Der schwie­rigste Brocken wird sein: die Haushaltspolitik unter den Bedingungen schwarz-gelber Hinter­lassenschaft und der Schuldenbremse. Falsch wäre es, jetzt die Arme nicht weit zu öffnen für alle, die mitmachen wollen, auch wenn sie nicht schon ganz parteigrün durchgefärbt sind. Die Grünen haben gar nicht genug Leute für die ganze Arbeit, die vor ihnen liegt, und sie sollten auch frischen Gesichtern Platz geben. Falsch wäre es auch, kontroverse Positionen hintanzustellen, nur weil doch jetzt auch ver­mehrt „bürgerliche“ Leute überlegen uns zu wählen. Damit würde man das Wertvollste, die eigene Glaubwürdigkeit, misshandeln.

Die Bundeskanzlerin hat nur eine Chance, 2013 ihre Amtszeit zu verlängern, wenn sie SPD und Grüne gegen einander ausspielen und vielleicht auch noch nahe legen kann, dass 2013 rot-grün-rot zur Wahl stünde. Konkurrenz und Eifersüchteleien gibt es zwischen Grün und Rot genug, um daraus falsche Konflikte zu basteln. Kein schönes Beispiel ist, wie sich in Berlin SPD und Grüne gegenseitig mit dem Vorwurf sekkie­ren, eigentlich mit der CDU regieren zu wollen. Es wäre falsch, solche Sachen treiben zu lassen. Man könnte viel falsch machen, aber man muss natürlich nicht. Man muss aber, und das deut­lich vor 2013, etwas richtig machen: nämlich eine Antwort auf die tiefe Krise Europas fin-den. Wahrscheinlich kann man nicht solche Demonstrationen für Eurobonds und Finanz­transaktionssteuer machen wie gegen AKW-Verlängerung. Doch ob Deutschland die ihm zukommende Führungsverantwortung in der EU wahrnimmt, das ist, nachdem das Atom­thema zwar nicht erledigt, aber geklärt ist, das große Streit- und Orientierungsthema bis 2013. Darüber die Menschen zu informieren und dafür zu motivieren und zu mobilisieren – wer das am besten hinbekommt, der kann 2013 Orientierung bieten.

Darüber die Menschen zu informieren und dafür zu motivieren und zu mobilisieren – wer das am besten hinbekommt, der kann 2013 Orientierung bieten.

Literatur

Raschke, Joachim/Tils, Ralf 2011: Politik braucht Strategie – Taktik hat sie genug. Frank­furt/M.

Dieser Text ist in Heft 3/2011, S. 135.140, des Forschungsjournal Soziale Bewegungen (www.forschungsjournal.de) erschienen.