Ende August diesen Jahres endete die Amtszeit der bisherigen Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, der ehemaligen chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet. Nur Minuten, bevor sie ihr Amt verließ, publizierte Frau Bachelet einen lang erwarteten Untersuchungsbericht über chinesische Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Dieser 46-seitige Bericht mit dem Titel „OHCHR Assessment of human rights concerns in the Xinjiang Uyghur Autonomous Region, People’s Republic of China“ hat politische Schockwellen ausgelöst.
Eigentlich war die Veröffentlichung dieses Xinjiang-Berichtes schon im letzten Jahre erwartet worden. Immer wieder hatte Frau Bachelet unter hohem Druck der Volksrepublik China, die dabei von anderen autoritären Staaten unterstützt wurde, die Publizierung verschoben. Als sie dann im Mai diesen Jahres nach China fuhr, sich dort potemkinsche Dörfer vorführen ließ und, wie sie danach zugegeben hat, nicht ein einziges unbewachtes Gespräch führen und keinen einzigen politischen Gefangenen treffen konnte, hatten viele, denen die Lage der Uiguren am Herzen liegt, mich eingeschlossen, den Stab über Frau Bachelet gebrochen. Sie erschien als hilflos gegenüber der rücksichtslosen Machtpolitik der kommunistischen Führung in Peking. Jetzt hat sie, würde ich sagen, in allerletzter Sekunde ihre Ehre mindestens teilweise wiederhergestellt. Dass sie nur kurz vor der Veröffentlichung den Eindruck erweckte, als werde diese nun vor Ende ihrer Amtszeit nicht mehr stattfinden, muss man wahrscheinlich als indirekten Beleg dafür lesen, wie groß der chinesische Druck auf sie war.
Der Inhalt des Xinjiang-Berichtes ist nicht von sensationellen neuen Fakten geprägt. Vorwürfe, für die es längst viele Belege gab, werden bestätigt. Das Gewicht des Berichtes liegt darin, dass mit der Autorität der Vereinten Nationen der Volksrepublik China gegenüber der Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Raum gestellt wird.
Peking reagierte auf den Xinjiang-Bericht mit außergewöhnlich heftigen Ausfällen. Der Sprecher des dortigen Außenministeriums warf Frau Bachelet „Schurkerei“ vor und erklärte den Bericht für „illegal“. Nach der Definition von Legalität, die da wohl zugrunde gelegt wird, wird man nicht lange suchen müssen: Illegal ist, was dem Parteikaiser Xi Jinping und seinem Regime missfällt. Das läuft ganz im Sinne der Grundüberzeugung der Kommunistischen Partei, die auch deren Innenpolitik prägt. Recht ist dazu da, dem Willen der KP Chinas zum Durchbruch zu verhelfen. Es hat Dienerin der totalitären Macht zu sein. Recht, das sich anders versteht, ist keines, sondern illegal.
Man könnte dieses Wüten für lächerlich halten, handelte es sich dabei nicht auch um den Versuch, die Weltöffentlichkeit und insbesondere die Mitgliedsstaaten der UNO davon abzuhalten, sich die Kritik und die Schlussfolgerungen des Xinjiang-Berichtes zu eigen zu machen. Peking gibt den Berserker, um zu signalisieren: Wer sich hier gegen uns stellt, den behandeln wir als – Komplizen einer Schurkerei. Es wird deswegen interessant sein, genau zu schauen, wer sich äußert, wer sich wie äußert, wer sich nicht äußert oder wer sich im Sinne Pekings äußert.
Der lange erbitterte Kampf um die Veröffentlichung des Xinjiang-Berichtes war nur das Vorspiel für eine noch heftigere Auseinandersetzung darum, ob die internationale Gemeinschaft gegenüber ihrem sehr mächtigen Mitglied China kuscht, wenn es darum geht, die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards zu verlangen. Viele islamische Staaten zum Beispiel haben sich in der Vergangenheit regelmäßig weggeduckt, wenn wieder einmal Enthüllungen über die brutale Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang publik wurden. Geht das nun unverändert weiter? Werden sich Länder, in denen China mit seiner Seidenstraßen-Strategie versucht hat Einfluss zu gewinnen, von Peking in dieser Frage an die Kandare nehmen lassen?
Für die EU stellt sich nicht nur die Frage, ob sie etwas sagt. Das deutsche Außenministerium zum Beispiel hat sich schnell geäußert. Für uns in Europa ist die Frage, was wir tun. Werden wir zum Jahresende die Xinjiang-Sanktionen, die seit März 2021 von der EU gegenüber vier Individuen und einer Organisation verhängt wurden, verlängern? Werden wir diese Sanktionen aufgrund der bekannten Fakten ausweiten? Werden wir weiterhin mehr oder weniger achselzuckend zuschauen, wenn europäische Unternehmen durch ihre Investitionen in Xinjiang die dortigen Zustände legitimieren? Werden wir, wenn es darum geht, Produkte aus uigurischer Zwangsarbeit vom europäischen Markt fernzuhalten, eine Regelung schaffen, die auch greift, oder eine, bei der die Schlupflöcher größer sind als die Anwendungsbereiche? Werden wir in unseren diplomatischen Beziehungen mit der Volksrepublik China das Thema Xinjiang regelmäßig auf die Tagesordnung setzen? Werden wir im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und in der UNO-Generalversammlung dafür kämpfen, auf Basis des Xinjiang-Berichtes kritische Mehrheiten gegenüber China zustande zu bringen?
Der UN-Xinjiang-Bericht war ein Erfolg, mit dem ich und viele andere auch nicht mehr gerechnet hatten. Sich jetzt aber zurückzulehnen, den Erfolg zu feiern und nicht darauf zu drängen, dass nun Nägel mit Köpfen gemacht werden, das würde den Erfolg in eine Niederlage verwandeln.
SONST NOCH
- In der letzten Woche war ich in Australien, um mich mit ExpertInnen vor allem zu Themen der China- und Energiepolitik auszutauschen. Außerdem war ich zu Gast im National Security Podcast.
- In dieser Woche habe ich an dem Forum 2000 in Prag teilgenommen, dort habe ich auf einer Podiumsdiskussion zur Lage Taiwans nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gesprochen.
- Am 03.09 halte ich bei der Sommerakademie der Begabtenförderungswerke zum Thema „Demokratie gestalten“ einen Vortrag zu den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten, um einer Erosion der Demokratie durch Chinas wachsenden internationalen Einfluss entgegenzutreten.
- In der Welt am Sonntag habe ich einen Gastbeitrag über den Taiwankonflikt verfasst.
- Zudem habe ich an einer Onlinediskussion der European Federation of Taiwanese Associations zur Zusammenarbeit zwischen Taiwan und der EU teilgenommen.