Während in Berlin vorsichtig neue Pfade ausgetreten werden, um wieder zu einer Bundesregierung zu kommen, aller Voraussicht nach einer Ampelregierung, dreht sich natürlich die Welt weiter. Und auch dabei gibt es immer wieder Versuche, neue Wege einzuschlagen. So geschehen diese Woche in Pittsburgh, Pennsylvania, wo sich VertreterInnen der U.S.A. und der EU zum ersten transatlantischen Trade & Tech Council (Rat für Handel und Technologie) trafen. Von U.S.-Seite waren Secretary of State Blinken, Secretary of Commerce Raimondo und U.S. Trade Representative Tai dabei; die EU war vor allem durch zwei exekutive Vizepräsidenten der Europäischen Kommission vertreten, Vestager und Dombrovskis. Das Ergebnis dieses Stelldicheins war ein magerer Fortschritt. Der Trade & Tech Council (TTC) ist ursprünglich eine europäische Idee, die aus Brüssel nach der Wahl von U.S.-Präsident Biden aufgetischt worden war. Tatsächlich wird damit ein Impuls wieder aufgegriffen, der schon bei den gescheiterten Verhandlungen um ein transatlantisches Investitionsabkommen (TTIP) eine Rolle gespielt hatte: Auch TTIP sollte u. a. dem Zweck dienen, durch transatlantisch gemeinsame Festlegung von Standards für moderne Technik die handelspolitische Stärke beider Partner zu befestigen, um in der heraufziehenden Standardisierungs- und Technologiekonkurrenz dem mächtiger werdenden China etwas entgegenzusetzen. An dieser Absicht war TTIP bekanntlich nicht gescheitert, sondern daran, dass zusätzlich versucht wurde, eine große Zahl langjähriger handelspolitischer Streitfragen zwischen den U.S.A. und der EU zulasten europäischer (und amerikanischer) Verbraucherinnen und Verbraucher und zugunsten gieriger Lobbyinteressen zu entscheiden. Über Streitfragen wie den privilegierten Investorenschutz oder Chlorhühnchen oder Hormonrindfleisch oder Gentechnik oder Chemiestandards usw. war die geoökonomisch motivierte Standardsetzungsagenda sogar weitgehend überlagert worden, obwohl sie eigentlich schon im Transatlantischen Wirtschaftsrat, Transatlantic Economic Council (TEC), auf die Agenda gesetzt worden war, den Präsident Bush und Kanzlerin Merkel 2007 gemeinsam aus der Taufe gehoben hatten. Nach TEC und TTIP ist TTC gewissermaßen ein dritter Anlauf, um eine handelsstrategische Frage anzugehen, von der angesichts der Verschiebung der internationalen Gewichte für die Zukunft der europäischen wie der U.S.-amerikanischen Industrie sehr viel abhängt. Kann es diesmal klappen? Kann es gelingen, nicht wieder an zahlreichen ererbten wirtschaftlichen Konflikten zu scheitern? Die Zahl der handelspolitischen Konflikte zwischen den U.S.A. und der EU ist, seit TTIP scheiterte, nicht kleiner, sondern größer geworden. Präsident Trump ließ nach europäischer Auffassung illegale Sonderzölle auf den Import von europäischem Stahl und Aluminium erheben, an denen Präsident Biden bisher nicht rührt. In Trumps Regierungszeit wurde auch die WTO-Berufungsinstanz für Handelsstreitfragen lahmgelegt und damit die WTO selbst in einer zentralen Dimension enorm geschwächt; auch das Thema geht Biden bisher, entgegen vieler optimistischer europäischer Erwartungen, nicht an. Einzig beim Uralt-Konflikt um Boeing- und Airbus-Subventionen konnte zwischen der Biden-Regierung und der EU-Kommission Entspannung signalisiert werden. Dagegen hat ein Gerichtsurteil zum Datentransfer von der EU in die U.S.A. wegen mangelnden Datenschutzes dort die bisherige transatlantische Regelung außer Kraft gesetzt und die amerikanische Opposition gegen den von der EU geplanten CO2-Grenszasusgleichsmechanismus signalisiert schon den nächsten Streit, zumal nicht absehbar ist, wie man sich in Washington gegebenenfalls eine CO2-Bepreisung für das eigene Land vorstellen will. Ein „gmähts Wiesle“, wie die Schwäbin sagt, ist das TTC-Unterfangen also sicher nicht. Und die Lage wird weiter erschwert, weil seit Trumps Amtszeit neue, große, sehr grundsätzliche Fragezeichen zur Zukunft des transatlantischen Verhältnisses aufgekommen sind. Einfach ausgedrückt: Wie sehr und wie dauerhaft kann und will die EU sich auf die Partnerschaft mit den U.S.A. verlassen? Im Grunde gibt es zur Frage nach der Perspektive des transatlantischen Verhältnisses zwei gegensätzliche Antworten: „Trump war ein Ausnahmefall, transatlantische Normalität wird wieder hergestellt werden“, sagt die eine. „Biden ist ein Ausnahmefall, Trump war nur der Anfang“, sagt die andere. Europas Hauptstädte sind sich da nicht einig. Die ganz pessimistischen bzw. zynischen Stimmen sehen gar keinen so großen Unterschied zwischen Trump und Biden. Biden sei ein Trump ohne Tweets, meinte kürzlich der französische Außenminister Le Drian. Paris bildet in der europäischen Debatte über diese strategischen Fragen einen Pol. Den anderen nahm zuletzt interessanterweise Litauen ein, ein Land, das seine Sicherheit gegenüber dem revisionistischen Russland nur durch U.S.-Garantien gewährleistet sieht. Die Brüsseler Kommission unter der transatlantisch eingestellten Präsidentin von der Leyen befindet sich in einer schwierigen Position, da von der Leyen ihr Amt hauptsächlich Präsident Macron verdankt und Frankreichs besonderen Interessen daher stark verpflichtet ist. Frau von der Leyen musste infolgedessen auch mehrere Tage unsicher manövrieren, als die französische Regierung in großer Empörung wegen der #AUKUS-Krise das TTC-Treffen in Pittsburgh abgesagt sehen wollte. Glücklicherweise setzten sich da dann doch die kühleren Köpfe durch. Indes gelang es Paris nach Presseberichten, die Sprache in der Abschlusserklärung des TTC abzuschwächen. Dass der TTC gewiss kein Zauberstab sein kann, mit dem transatlantische Unebenheiten und Gegensätze zum Verschwinden gebracht werden können – wie denn auch! –, das zeigt sich an einer substanziellen Liste von Kontroversen, bei denen es keinen Fortschritt gab: Stahl- und Aluminiumzölle; WTO-Schiedsgerichtsbarkeit; Datentransfer. Ich glaube, der mögliche Erfolg des TTC, den ich ausdrücklich für eine gute Idee halte, hängt daran, ob es gelingt, seine Agenda zu begrenzen und nicht alles mit allem zu vermengen. Statt den TTC damit zu belasten, dass man von ihm das Ausräumen schwieriger Streitfragen erwartet, die schon viel zu lange ungelöst geblieben sind, sollten wir ihn darauf konzentrieren, auf Feldern von Interessenkongruenz einzelne Nägel mit Köpfen zu machen, einen um den anderen. Die Regel sollte heißen: Kompartmentalisierung der Themen; der TTC ist nur für die Positivagenda zuständig. Die Streitfragen werden anderwärts verfolgt. Es wäre übrigens auch ein Fehler, wenn die EU sich einseitig auf die transatlantische Zusammenarbeit in Handelsfragen fokussieren würde. Unsere Agenda muss breiter sein. Sie muss sehr konsequent und aktiv andere gleich- oder ähnlich gesinnte Partner wie Japan, Indien, Kanada, Großbritannien oder Südkorea in den Blick nehmen. Den „Westen“, den es einmal gab, wird es nicht mehr geben. Der „Westen“ repräsentiert ein Konzept, das in der Welt von heute nicht mehr funktioniert. Das heißt keineswegs, dass das massive Interesse Europas an guten, konstruktiven transatlantischen Beziehungen von Dauer irgendwie nachgelassen hätte, aber das reicht nicht mehr. Eine kleine Anmerkung zur Zusammensetzung der europäischen TTC-Delegation will ich mir zum Ende doch nicht verkneifen. Auf U.S.-Seite saß auch Außenminister Blinken. Den Hohen Repräsentanten der EU für Außenpolitik Josep Borrell hatte man in Brüssel dagegen bewusst ausgeschlossen. Ich halte es für ein bejammernswertes Zeichen, dass interne Kämpfe um bürokratische Geländegewinne, um Zuständigkeiten und Rangordnungen wichtiger erscheinen als die Bündelung von außenpolitischen und außenhandelspolitischen Kompetenzen. Die Kommission weiß, dass der TTC nicht bloß ein Projekt der Handelspolitik ist, aber die „geopolitische Kommission“ tut so, übrigens nicht nur an dieser Stelle, als könne man die Außenpolitik der EU und ihre Außenhandelspolitik auseinanderhalten. Werch ein Illtum. |
Sonst noch
- Meine Pressemitteilung zum Trade & Tech Council findet Ihr hier und die Pressemitteilung zu den Ergebnissen ist hier zu finden.
- Die ökosoziale Transformation gelingt nur mit der Wirtschaft – mein Beitrag für den Blog des Grünen Wirtschaftsdialog.
- Die nächste Woche ist eine Straßburg-Woche, hier die regelmäßig aktualisierte Tagesordnung.
- Am 6.10. nehme ich am „Warsaw Security Forum“ teil.
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