Zum morgigen EU-China-Videogipfel kommentiert Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der China-Delegation des Europäischen Parlaments und außenpolitischer Koordinator der Grünen/EFA-Fraktion:
“Die Bedeutung der europäisch-chinesischen Videokonferenz zwischen Präsident Michel, Präsidentin von der Leyen und Kanzlerin Merkel sowie Parteichef Xi Jinping liegt darin, derzeit nichts zu entscheiden. Es ist schon klar, dass im Anschluss an das Gespräch keine substanziellen Ergebnisse zu vermelden sein werden. Für Frau Merkel signalisiert diese Videokonferenz, dass ihre Rolle in der China-Politik der EU eine schwächere geworden ist. Sie, die mit ihrer Leipzig-Einladung dieses Thema bestimmen wollte, ist gegenüber der kritischen Entwicklung der europäischen China-Politik in Nachtrab geraten.
Bei keinem der drei Themen, die Kanzlerin Merkel zum Hauptgegenstand ihres Leipziger China-Treffens machen wollte, hat es in den letzten Monaten ausreichend Fortschritte gegeben; nicht beim Investitionsabkommen, nicht hinsichtlich möglicher Zusammenarbeit in Drittländern, nicht beim Klimaschutz. Bei letzterem muss man leider sogar chinesische Rückschritte konstatieren. Dazu kommt eine Anhäufung von Streitpunkten, die insgesamt zu einer deutlichen Verschlechterung im europäisch-chinesischen Verhältnis geführt haben. Dazu gehören Chinas ständige Versuche, die eigene Verantwortung für die globale Pandemie zu bestreiten; die rücksichtslose Unterdrückung der Minderheit der Uiguren; neuerdings zusätzliche Repressalien gegen Tibeter und Mongolen; das systematische Ignorieren der Menschenrechte China-weit; das aggressive Verhalten gegenüber den Nachbarn Indien, Bhutan, Indonesien, Malaysia, Vietnam, Philippinen, Taiwan und Japan; die internationale Verträge brechende Beseitigung der Autonomie Hongkongs; das herrische Auftreten gegenüber zahlreichen Ländern, zuletzt gegenüber der Tschechischen Republik.
Die EU-Spitzen können gar nicht anders als diese Konfliktpunkte deutlich anzusprechen, zu denen die Pekinger Führung bekanntlich nichts hören will. Da Xi Jinpings Team mindestens vorerst die für einen erfolgreichen Abschluss erforderlichen Zugeständnisse beim Investitionsabkommen verweigert, bietet auch das Feld der Wirtschaft derzeit wenig Chancen für positive Kooperation. Im Gegenteil, die europäische Handelskammer in China musste zuletzt beklagen, man habe den Eindruck, dass zwar europäisches Kapital und europäische Technik in China nach wie vor willkommen seien, nicht aber die Europäer selbst. Beide, die EU wie die Volksrepublik, blicken derzeit mit mehr Interesse nach Washington als aufeinander. China mit Sorge und wir mit der Hoffnung, dass nach der Präsidentschaftswahl die transatlantische Zusammenarbeit gegenüber China neuen Schwung gewinnt.”