Und Orbán bewegt sich doch | BÜTIS WOCHE #274

Die Europäische Union hat bei ihrem Gipfeltreffen diese Woche drei außerordentlich wichtige Siege errungen. Einen Sieg für die fortgesetzte Solidarität mit der Ukraine. Einen Sieg über die Blockadepolitik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Und einen Sieg über die eigene Unentschlossenheit. Letzterer ist der wichtigste.

Seit vielen, vielen Jahren tanzt Ungarns Orbán Viktor der EU auf der Nase herum. Er untergräbt EU-Rechtsstaatlichkeit. Er verwandelt Ungarn in ein Land, das nicht mehr ganz zur Hälfte eine Demokratie ist. Er mobilisiert mit rücksichtsloser Propaganda Hass gegen die Europäische Union, die er als Besatzungsmacht wie früher die Sowjetunion denunziert. Er bereichert mit europäischem Geld seine eigene Clique. Er sucht beständig nach Gelegenheiten, um EU-Entscheidungen zu verzögern, durcheinanderzubringen oder ganz aufzuhalten. Er fährt in der Außenpolitik gefährliche Sondertouren und geriert sich als Außenposten Moskaus und Pekings in der Europäischen Union. Doch jetzt hat er es zu weit getrieben. Die Staats- und Regierungschefs haben ihm seine Grenzen aufgezeigt.

Den Anlass für den Showdown, der Orbán zum Einknicken zwang, bildete das EU-Vorhaben, gemeinsam der Ukraine fünfzig Milliarden Euro Hilfe über mehrere Jahre zur Verfügung zu stellen. Ich habe nicht gezählt, wie viele Monate insgesamt darum gerungen wurde. Eine solche Entscheidung braucht im Europäischen Rat Einstimmigkeit, und Orbáns Veto schien unverrückbar. Es hätte wohl Möglichkeiten gegeben, die ungarische Blockade zu umgehen. Doch das wäre extrem umständlich, sehr zeitaufwendig und politisch durchaus riskant gewesen: Die 26 Mitgliedsländer ohne Ungarn hätten sich verabreden können, die Ukrainehilfe intergouvernemental aufzubringen. Doch das hätte verlangt, dass die entsprechende Entscheidung jeweils in allen 26 Ländern hätte parlamentarisch ratifiziert werden müssen. Selbst wenn das irgendwann gelungen wäre, der Zeitverzug und das Verfahren wären Ausdruck europäischer Hilflosigkeit gewesen. Jetzt kam es anders. Das ungarische Veto wurde nicht eingelegt. Die Hilfszusage an die Ukraine ist positiv entschieden.

Es ist kein Zufall und von erheblicher politischer Bedeutung, dass Orbán sein Cannae ausgerechnet in dieser Frage erlebte. Orbán hatte mit seiner Verweigerungspolitik einen entscheidenden sicherheitspolitischen Nerv getroffen. Würde Europa die Ukraine hängen lassen, dann bedeutete das ganz gewiss nicht Frieden und schon gar nicht Sicherheit, sondern das wirkte geradezu als Anreiz für Putins Imperialismus, die Aggression noch zu steigern. Das haben die Staats- und Regierungschefs der EU tatsächlich begriffen. Ob die Ukraine siegt oder verliert, betrifft nicht nur sie selbst; ihre Niederlage gefährdete auch den Rest Europas. Bertolt Brecht hat einmal geschrieben: „Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und lässt andere kämpfen für seine Sache, der muss sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will, denn er wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“

Man kann viele Fragen der europäischen Politik nur voranbringen, wenn bei den dazu erforderlichen Entscheidungen auf allseitige Kompromissbereitschaft gesetzt wird. Dass ein Land sich dabei dickköpfig verweigert, das ist nicht nur im Falle Ungarns schon vorgekommen. Dann wird geschachert, es werden Deals beschlossen, in denen sachlich völlig unzusammenhängende Materien miteinander verbunden werden. Auch das ist Teil des europäischen Spiels. Wer aber sich gegen die Grundpfeiler der EU vergeht, der spielt ein ganz anderes Spiel. Der stellt das Ganze infrage. 

Als die EU gegründet wurde und später bei mehreren Erweiterungsrunden, in denen sie auf fast 30 Mitglieder anwuchs, da erschien wohl die Vorstellung, ein Mitgliedsland könne sich dereinst als Trojanisches Pferd der äußeren Feinde der EU erweisen, als abwegig. Warum sollte irgendein europäisches Volk das Friedensprojekt, das Rechtsstaatsprojekt, das Wohlstandsprojekt Europäische Union gefährden wollen? Doch heute wissen wir, dass wir uns leider international nicht auf dem Weg „zum ewigen Frieden“ befinden, von dem Immanuel Kant vor 229 Jahren schrieb. Wir leben in einer Zeit neuer systemischer Rivalität, in der autoritäre Regime die Grundprinzipien einer Westfälischen Weltordnung, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen angelegt ist, prinzipiell infrage stellen. China und Russland sind die miteinander verkoppelten Führungsmächte dieser Bewegung eines globalen, imperialistischen Revisionismus. Wer sie unterstützt, legt die Axt an die Wurzel des europäischen Einigungsprojektes.

Viktor Orbán hat das schon länger getan. Seine Angriffe auf Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit hätten deswegen schon vor Jahren entschiedene Antworten aus der EU erfordert. Leider war erst jetzt sein Maß voll. Dass aber die EU zu einer solchen Entscheidung in der Lage war, macht Hoffnung auf entsprechend entschiedenes Vorgehen zur Verteidigung der Grundwerte der EU.

Klar ist, dass die Ratsentscheidung, die Orbán in die Knie zwang, ohne den Wahlsieg von Tusk in Polen nicht zustande gekommen wäre. Es war deshalb ganz passend, dass Donald Tusk sich zum Sprecher seiner Kolleginnen und Kollegen macht, als er erklärte, es gäbe im Europäischen Rat keine Ukraine-Müdigkeit, sondern eine Orbán-Müdigkeit. Ein Zweites ist ebenfalls festzuhalten. Sehr lange haben die Mitgliedsländer der EU die Verantwortung dafür, Viktor Orbán in die Schranken zu weisen, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament überlassen. Das war ein Fehler, den ich schon sehr lange kritisiert habe. Wenn es hart auf hart kommt, wenn Machtpolitik ihr Recht fordert, dann reichen noch so überzeugende Reden im Europäischen Parlament nicht aus, und dann verfügt auch die Kommission in eigener Verantwortung nicht über ausreichend starke Hebel. Die Mitgliedsstaaten müssen selbst antreten, denn sie besitzen gemeinsam das, was es braucht, um einen Orbán zurechtzubiegen. Das hat sich diese Woche erwiesen.

Wir sollten sicher nicht annehmen, dass der Europäische Rat nun ständig bereit sein wird, Orbán so zu isolieren, dass er nachgeben muss. Und die Überwindung der gerade noch halb demokratischen Zustände in Ungarn müssen die Ungarn sich selbst erkämpfen. Mit der nächsten Wahl 2026 sollte Orbáns lange, anfangs ruhmreiche, inzwischen verächtliche politische Laufbahn enden.

Orbáns Niederlage im Europäischen Rat war auch eine Niederlage für Putin, für Xi Jinping und für Donald Trump. Für Europa bedeutet sie einen Durchbruch. Sie bedeutet übrigens auch eine gute Portion Arznei gegen den oft grassierenden Euro-Pessimismus. Oft schon, wenn die Absänge auf die europäische Realität wegen lauter vermeintlicher Ausweglosigkeit das alsbaldige Scheitern prognostizierten, wuchs die EU in der Krise. Dass das wieder einmal der Fall war, sollte uns ermutigen, den Kampf für ein besseres Europa immer wieder mit neuer Energie zu führen.

SONST NOCH

Diese Woche begann für mich am Montag mit verschiedenen Treffen mit China- und Taiwan-bezogenen Treffen in Berlin.

Am Dienstag war ich als Speaker beim Politischen Ausschuss des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) in Brüssel geladen und habe am Brussels Indo-Pacific Dialogue teilgenommen.

Am Mittwoch habe ich an einer virtuellen Podiumsdiskussion der Asienbrücke zu den Ergebnissen der Wahlen in Taiwan teilgenommen.

Am Donnerstag halte ich die Dinnerspeech bei der 24. Außenpolitischen Jahrestagung der Heinrich Böll Stiftung in Berlin.

Am Wochenende nehme ich an der Landesdelegiertenkonferenz der Thüringer Grünen in Jena teil. 

Meine Pressemitteilung zum außerordentlichen EU-Rats-Gipfel in Brüssel über künftige Finanzhilfen für den Ukraine-Krieg.

In der nächsten Woche tagt das Europäischen Parlament in Straßburg. Hier geht es zur regelmäßig aktualisierten Tagesordnung. 

Am 14. Februar organisiere ich eine Veranstaltung zum Thema “Green Subsidies @MC13: How can the WTO deliver?”. Hier geht es zur Anmeldung.

Titelbild Copyright: European Union