Die Idee, aus Europa heraus eine Alternative zu Chinas Belt and Road Iniative (auch bekannt als Neue Seidenstraße) zu entwickeln, hatte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen schon von ihrem Vorgänger Jean Claude Juncker geerbt. Doch, wie so oft, brauchte es im komplizierten institutionellen Gefüge der EU einiges an Zeit, bis die Idee zum strategischen Ansatz gerann. Nun sollte daraus geostrategische Realität werden.
Unter Junckers Ägide hatte der Europäische Rat 2018 eine „EU-ASEAN-Konnektivitätsstrategie“ angenommen – und gleich wieder vergessen. Tatsächlich handelte es sich um nicht mehr als eine Skizze; ein Auto, das es nur auf dem Zeichenbrett gibt, fährt ja auch nicht. Juncker legte 2019 nach mit einer großen, von der Öffentlichkeit damals aber wenig wahrgenommenen, Brüsseler Konnektivitäts-Konferenz, an der etwa 1400 BesucherInnen teilnahmen, darunter ein gutes Drittel aus 50 asiatischen Ländern. Diese Resonanz von Partnern der EU konnte eindeutig als Ermutigung gelesen werden. Aber Junckers Amtszeit ging wenige Wochen später zu Ende. Er verabredete noch mit Ministerpräsident Abe eine europäisch-japanische Konnektivitätspartnerschaft, doch dann war Ursula von der Leyen dran.
Die Kommissionspräsidentin ließ das Thema zunächst links liegen. Es dauerte eine Weile, bis sie die Zeit fand, den Konnektivitätsgedanken neu aufzugreifen. Doch dann identifizierte sie das inzwischen recht angestaubte Konnektivitätskonzept als überholungsfähig, gab ihm mit „Global Gateway“ einen neuen, viel anschlussfähigeren Namen und versprach daraus das geostrategische Leitprojekt ihrer Amtszeit zu machen. In der „State of the European Union“-Rede von der Leyens im September 2021 wurde dies öffentlich gemacht.
In der Zwischenzeit hatten wir im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments an dem Thema weitergearbeitet. Zum Jahresbeginn 2020 war ein Bericht von mir angenommen worden, der einige Gedanken der späteren Global-Gateway-Strategie vorwegnahm. Dazu gehörte etwa, die Ausweitung des ursprünglich eurasischen Ansatzes auf einen globalen, die Konzentrierung auf wichtige headline goales der Union und die Verbindung von Infrastruktur-Entwicklungs-Orientierung mit digitalen und ökologischen Transformationszielen, der auswärtigen Dimension europäischer Industriepolitik sowie der geostrategischen Ausrichtung auf Kooperation mit Ländern, die als like-minded partners beschrieben werden können. Auch auf anderer Ebene bewegte sich etwas. Mit den ASEAN-Ländern wurde eine gemeinsame ministerielle Erklärung zur Konnektivitätsstrategie vereinbart. Mit Indien wurde eine weitere Konnektivitätspartnerschaft begründet. Nachdem Frau von der Leyen die Global Gateway Initiative angekündigt hatte, musste diese natürlich konzeptionell unterlegt werden, das gelang ihrem Team nach Überwindung mancher kommissionsinterner Widerstände zum Jahresende 2021. Die veröffentlichte Strategie ließ aufhorchen; man konnte sich vorstellen, dass die EU das ernst meint.
Danach war wieder weniger von Global Gateway zu hören. Dazu mag beigetragen haben, dass der hohe Repräsentant der EU für Außenpolitik und Vizepräsident der Kommission Josep Borell, mit Global Gateway allem Anschein nach nichts anzufangen wusste. Auch Fragen der Governance wie kommissionsinterne Zuständigkeitsfragen, Fragen nach der Einbeziehung der Mitgliedsländer, denen ein „Team Europe“ Approach versprochen worden war, oder Fragen der Beteiligung der Business-Community und anderer gesellschaftlichen Akteuren blieben zunächst lange ungelöst. Andere Prioritäten drängten sich vor.
Doch nun wird am 11. Dezember unter Vorsitz von Frau von der Leyen die erste Sitzung des Global Gateway Board stattfinden. Eingeladen sind die EU-AußenministerInnen und drei Mitglieder des Europäischen Parlamentes. Ich erwarte Diskussionen über die operativen Prioritäten, die Zusammenarbeit als „Team-Europe“ und die nötige Sichtbarkeit von Global Gateway. Die Liste der vorgesehenen Leuchtturmprojekte und das seit 2018 versprochene Business Advisory Board soll es dann 2023 geben. Es wird aber derzeit intern sehr konkret an Projekten gearbeitet, die zum Beispiel Investitionen in die Produktion von grünem Wasserstoff sowie den Aufbau von Verarbeitungskapazitäten für strategische Rohstoffe in einem afrikanischen Land in Verbindung Forschungs- Ausbildungs- und Qualifizierungsprogrammen und Verkehrsinfrastruktur-Entwicklung beinhalten könnten. Eine andere Entwicklungslinie könnte Tiefseedatenkabel betreffen, die Europa mit Afrika und Afrika mit dem ASEAN-Raum verbinden. Die EU scheint tatsächlich auf dem Sprung zu sein zu zeigen, dass nun der Global Gateway Roll-out ansteht. Das ist umso wichtiger, als es zum Thema einer globalen Partnerschaft für Infrastrukturentwicklung-Investitionen aus den USA trotz großer Versprechen der Administration Biden bisher im Wesentlichen nur heiße Luft gibt. Es sieht auch nicht so aus, als würde ein von den Republikanern kontrolliertes Repräsentantenhaus daran etwas zum Positiven ändern wollen. Auf der anderen Seite aber gibt es genug sonstige Partner für Global Gateway: Japan, Indien, die ASEAN-Gemeinschaft, Australien und Taiwan gehören sicher dazu. Die Tür ist jetzt auf bei Global Gateway.
SONST NOCH
Auf dem EGP Council am vergangenen Freitag wurde das von Anna Cavazzini und mir entworfene handelspolitische Grundsatzpapier: „Green Transformation of EU Trady Policy“, natürlich mit einigen Änderungen einstimmig verabschiedet.
Meine Pressemitteilung zum dritten Trade and Tech Council (TTC), der Anfang der Woche in Maryland stattfand.
Vom 5. bis 6. Dezember habe ich ein im Europäischen Haus in Berlin zum ersten Mal eine Taiwankonferenz veranstaltet. Diese trug den Titel: „Taiwan Opportunities and Challenges in Times of Geopolitical Change“. Die Aufzeichnung der Veranstaltung findet sich hier.
Am Montag, den 12. Dezember bin ich zu Gast in Düsseldorf bei der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister, Mona Neubaur und halte einen Vortrag zum Thema „China als Wirtschaftspartner aus Sicht der EU“.
In der nächste Woche ist Plenarwoche in Straßburg. Schwerpunkt-Thema wird die Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates am 15. und 16. Dezember sein. Hier geht es zur regelmäßig aktualisierten Tagesordnung.
Diese ist für 2022 meine letzte Bütis Woche. Nach der Plenarwoche in Straßburg werde ich mit dem Handelsausschuss des EP noch nach Taiwan reisen bevor dann die Ruhe der Festtage und des Jahresendes beginnt. Ich wünsche allen eine Gute Zeit über die Feiertage und zum Jahreswechsel und melde mich wieder in 2023.