Herr Bütikofer, verstehen Sie die Peking-Reise des Bundeskanzlers als Fortsetzung des deutschen Alleingangs im Umgang mit China?
Eine Rückkehr zu Angela Merkels deutschem Sonderweg gegenüber China ist schlicht nicht möglich, weil die Realität sich ändert. Chinas Parteitag hat gezeigt, dass man dort auf Konflikt geht. In Deutschland erleben wir, wie Peking unsere Werte und Interesse bedroht. Und es schwächte uns, wenn wir unsere Partner und Verbündeten ignorierten. Von Olaf Scholz würde ich mir da weniger Merkel und mehr Baerbock wünschen. Er bleibt bis jetzt hinter den chinapolitischen Verabredungen der Koalition vor einem Jahr zurück. Chinapolitik muss im europäischen Verbund geplant und auch besser mit den USA koordiniert werden.
Der Hafendeal in Hamburg ist eine Art Gastgeschenk, das Olaf Scholz nach Peking mitbringt. Stärkt das die Rolle Deutschlands als wichtigster Handelspartner der Chinesen in Europa?
Dieser Deal ist mit Blick auf unsere nationale Sicherheit schlicht ein Fehler. Nun kommt allerdings dazu, dass von chinesischer Seite erpresserischer Druck ausgeübt worden ist, um deren Vorstellungen durchzuzocken. Stärkt es uns, wenn wir Erpressung nachgeben? Eher doch im Gegenteil. China respektiert nur Stärke. Und unsere Glaubwürdigkeit leidet darunter. Haben wir nicht gerade gelernt, dass Diktatoren unsere Abhängigkeiten gegen uns wenden? Da ist doch der totalitäre Xi nicht besser als der autoritäre Putin!
Wo sehen Sie rote Linien im Verhältnis zu China, die Olaf Scholz deutlich machen müsste?
Dazu fällt mir viel ein: Der Bundeskanzler sollte China gegenüber die gemeinsamen Positionen, auf die sich die Koalition verständigt hat, klar vertreten. Das hieße zum Beispiel, unzweideutig Position zu beziehen gegen die sich ständig verschärfenden Drohungen aus Peking gegen Taiwan. Scholz sollte nicht drumrum reden, dass wir in China einen systemischen Rivalen sehen: ein Land, das nicht nur in seiner inneren Ordnung, sondern auch im internationalen Raum gegen entscheidende Grundsätze handelt, auf die unsere Politik gegründet ist – zum Beispiel die Herrschaft des Rechts. Der Kanzler sollte erklären, warum wir nicht einfach zusehen werden, wenn China gemeinsam mit Russland den Multilateralismus durch eine Dominanz autoritärer Großmächte ersetzen will. Er kann darauf verweisen, dass wir die NATO-Strategie mittragen, die in Chinas Kurs Risiken für unsere Werte, unsere Interessen und unsere demokratische Lebensweise ausgemacht hat. Scholz könnte die Aufhebung der chinesischen Sanktionen gegen europäische PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen ansprechen, was Frau Merkel immer vermieden hat. Er könnte kritisieren, dass China in illegaler Weise versucht, auf europäischem Boden eigene Staatsbürger polizeilich zu verfolgen. Was ist mit den Menschenrechten, vor allem in Xinjiang und Tibet? Mit der Benachteiligung europäischer Unternehmen in China?
Dann kann er sich die Reise aber sparen.
Nein, er sollte sie sich sparen, wenn er das alles nicht vorhat. Will er in Peking wahrgenommen werden als ein ernsthafter Akteur, der weiß, wo wir stehen und was wir wollen – oder als jemand, der sich nicht traut zu sagen, was Sache ist?
Wie können wir uns aus bereits bestehenden Abhängigkeiten von China befreien?
Wer genau hinschaut, wird feststellen, dass viele deutsche Unternehmen damit bereits angefangen haben. 80 Prozent der Investitionen, die im vergangenen Jahr aus Europa neu nach China geflossen sind, kommen von nur zehn Großkonzernen wie VW, BMW, BASF, Siemens. Die laufen weiter in die Sackgasse. Mittelständler sind oft anders drauf. Unternehmen, die noch nicht in China sind, bleiben weg. Andere schieben Neuinvestitionen auf oder tätigen sie sonstwo. Dass man vorsichtig sein sollte, muss man einem baden-württembergischen Mittelständler nicht erst predigen.
Ihr Parteifreund Winfried Kretschmann hat kürzlich aber davor gewarnt, falls es Sanktionen gegen China wegen Taiwan geben müsste, wäre sei ein Großteil der Umsätze der Automobilindustrie bedroht. Die könnten dann gleich zusperren, so wird er zitiert.
Das habe ich nicht gelesen. Aber, du liebe Zeit, die chinesischen Probleme für unsere Automobilbranche fangen doch viel früher an. Chinesische Zulieferer verdrängen zunehmend deutsche. Der ganze Industriezweig muss sich auf massive Konkurrenz aus China im Bereich der E-Mobilität einstellen. Dass Sixt 100.000 Elektroautos bei Geely bestellt, ist nur ein Wetterleuchten. Ich glaube, die Automobilindustrie muss, wenn sie eine Zukunft haben möchte, aufhören sich einzureden, je mehr sie sich von China abhängig mache, desto besser wäre es für ihr Geschäft. Die sollen sich mal anschauen, wie es der Bahnindustrie ergangen ist. Es waren Unternehmen wie Siemens und Alsthom, welche die chinesische Bahnindustrie großgemacht haben – mit legalem und geklautem Technologietransfer. Heute bekommen die in China keinen Fuß mehr auf den Boden. Wer die chinesische Wirtschaftsstrategie zur Kenntnis nimmt, kommt nicht dran vorbei, dass das nicht auf langfristige Partnerschaft angelegt ist. Westliche Unternehmen sind in China so lange willkommen, wie sie Produktionskapazitäten, Investitionskraft und Technologie zu bieten haben, die China selbst noch nicht hat. In dem Moment, in dem die dortige Führung meint, sie könnten das jetzt auch, bist Du der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat und gehen kann.