Vor 50 Jahren, am 11. Oktober 1972, nahmen die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik China offiziell diplomatische Beziehungen miteinander auf. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur haben auf Bitte des Deutsch-Chinesischen Dialogforums einen Blick auf ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zu den Deutsch-Chinesischen Beziehungen geworfen.
Dies ist mein Beitrag:
Als im Oktober 1972 diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China aufgenommen wurden, begann damit eine Epoche gegenseitiger Öffnung zwischen beiden Ländern, die im Ergebnis dazu führte, dass Deutschland mit China heute mehr verbunden ist, als irgendein anderes europäisches Land. Doch inzwischen hat sich die Richtung der Entwicklung in ihr Gegenteil verkehrt. Wo lange wenigstens teilweise Konvergenz verwirklicht und noch viel mehr erhofft wurde, herrscht nun Divergenz. Die Zukunft der bilateralen Beziehungen ist ungewisser als vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren.
Vor 50 Jahren war Mao Zedong noch Chinas Steuermann. Sein kulturrevolutionär übersteigerter Personenkult dominierte Chinas Politik und fraß sich täglich hinein in das private Leben der Menschen Chinas. Das Land gehörte zu den ärmsten in der Welt. Doch nicht einmal zehn Jahre danach hatte die Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) unter der Ägide von Deng Xiaoping einen neuen Weg eingeschlagen, der bekannt wurde als Kurs der Öffnung und Reform. Wirtschaftliche Liberalisierung im Innern und verstärkte ökonomische Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern rückten, gegen massive Widerstände, ins Zentrum. Trotz der schlimmen Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz, als die KPCh am 4. Juni 1989 den Wunsch vieler, vor allem junger Menschen nach mehr politischen Reformen in Blut erstickte, blieb Dengs pragmatische Orientierung vorherrschend. Die KPCh hielt einerseits an ihrem Machtmonopol fest, ließ andererseits Grauzonen der Privatheit und sogar kleine Bereiche gesellschaftlicher Debatte und Selbstorganisation zu. Personenkult, absolute Machtkonzentration und Ämter auf Lebenszeit sollten ausdrücklich der Vergangenheit angehören. Dann kam Xi Jinping.
Xi Jinpings Übernahme der Macht in China hat sich als eine Art regime change von oben erwiesen. An die Stelle einer kommunistischen Aristokratie trat ein Parteikaisertum. Kleine Freiheiten wurden systematisch beseitigt, diejenigen, die daran festhalten wollten, rücksichtslos unterdrückt. Der Führungsanspruch der KP Chinas/ KPCh wandelte sich von einem autoritären zu einem totalitären. Eine schlimmere Repression als in Xinjiang gibt es allenfalls in Nordkorea. Der Personenkult schlägt Purzelbäume. Der Präsident der Xinhua Nachrichtenagentur etwa propagierte vor Kurzem eine sogenannte „Dreimal eine Minute-Theorie”: “Wir dürfen uns nicht einmal eine Minute außerhalb der Reihen der Partei bewegen; dürfen nicht einmal eine Minute von den Anweisungen des Generalsekretärs Xi Jinping abweichen; dürfen nicht eine einzige Minute außerhalb der Kontrolle von Generalsekretär Xi Jinping und der zentralen Parteiführung sein.” Der 20. Parteitag der KP Chinas/ KPCh wird, zeitgleich mit dem 50-jährigen Jubiläum unserer diplomatischen Beziehungen mit der Volksrepublik, Xis High-Tech-Totalitarismus bekräftigen.
Doch Xi Jinpings Regime bedeutet nicht einfach die Wiederkehr maoistischer Dystopie. Xi will mehr. Er kann mehr wollen, weil China inzwischen auf der Basis der Politik Deng Xiaopings zu einem wirtschaftlichen und politischen Giganten herangewachsen ist. Xi steht nicht für langfristige Partnerschaft mit internationalen Partnern, noch nicht einmal im ökonomischen Bereich. Xi ist überzeugt, Chinas heutige Stärke erlaube ihm die Ambition, die innere Polizeistaatsordnung mit einer zunehmenden Dominanz nach außen zu verbinden. Dafür stehen die Zerstörung von Hong Kong’s Freiheiten unter Bruch internationaler Verträge; die Bedrohung Taiwans ohne Rücksicht auf das völkerrechtliche Gewaltverbot der UN-Charta; die maritime „Landnahme” im Südchinesischen Meer entgegen UNCLOS-Recht; die Aggression gegenüber Indien an der gemeinsamen Himalaya-Grenze; die zunehmende Extraterritorialisierung eigener Unterdrückungspraxis; die unverhohlene Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie die rücksichtslose Nutzung wirtschaftlicher Abhängigkeiten verschiedener Länder zur Durchsetzung eigener imperialer Ziele. Die Xi-Putin-Vereinbarung vom 4. Februar 2022 hat Xis Außenpolitik auf den Begriff gebracht: es ist eine „revisionistische Charta”, wie Josep Borrell sagte, ein Anspruch auf internationale Hegemonie in einer post-westphälischen Ordnung, zu der autoritäre Regimes China-zentrisch zusammenwirken.
Was heißt das für die nächsten 50 deutsch-chinesischen Jahre? So weit wage ich nicht vorauszudenken. Aber für die nächsten fünf bis zehn Jahre scheint mir die Herausforderung klar zu sein. Bei aller grundsätzlichen Bereitschaft zu positivem Engagement und auch zum Zusammenwirken – wo das möglich ist – muss deutsche Chinapolitik bestehende Abhängigkeiten gegenüber China deutlich verringern, wozu die gute Entwicklung eigener Wettbewerbsfähigkeit und Technologiestärke unerlässlich ist; die Kooperation mit gleichgesinnten Partnern gezielt verbessern und das nicht nur in Europa und transatlantisch, sondern auch mit Ländern in Asien und vielen Ländern des globalen Südens; der Führung in Beijing deutlich machen, dass sie bei einem Kurs der Konfrontation selber einen außerordentlich hohen Preis zahlen müsste. Deutschland hat Interesse an einem handlungsfähigen, einigen Europa. Deutschland hat Interesse an einem Multilateralismus, der die universellen Werte der Menschenrechte, der Herrschaft des Rechts und der Demokratie zur Basis hat und nationale Souveränität achtet. Deutschland hat Interesse an der Sicherheit, der Stabilität und dem Frieden im Indo-Pazifik, also auch in der Straße von Taiwan. Deutschland hat Interesse an einer weltweit verabredeten, wirksamen Klimapolitik und der Nutzung von Konnektivität für dieses Ziel. Die Führung der Volksrepublik China scheint diese Interessen gegenwärtig nicht sehr zu würdigen. Die Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen wird nun davon abhängen, ob es uns als „systemischen Rivalen” trotzdem gelingt, in diesen Bereichen Fortschritte zu erzielen.
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