#206 Das Weimarer Dreieck nach 30 Jahren: Eine ehrwürdige Tradition braucht neue Impulse | BÜTIS WOCHE

Am 28. August 1991, also jetzt vor 30 Jahren, wurde das sogenannte Weimarer Dreieck gegründet. Dazu trafen sich die damaligen Außenminister Frankreichs, Polens und Deutschlands – Dumas, Skubiszewski und Genscher – zu Goethes Geburtstag in Weimar. 1991, das war nach der deutschen Wiedervereinigung, die Polen aktiv und Frankreich zögerlich unterstützt hatte, kurz nach der Auflösung des Warschauer Paktes und 13 Jahre, bevor Polen schließlich Mitglied der EU wurde. Die damals von den Außenministern verabschiedete 10-Punkte-Erklärung macht deutlich, worum es bei diesem Unterfangen vor allem ging: Gemeinsam sollten sich die drei Länder für Polens Integration in die euroatlantischen Strukturen von NATO und EU engagieren. 

30 Jahre später gibt es das Weimarer Dreieck, obwohl sein ursprünglicher Zweck längst erfüllt ist, immer noch, aber es sticht unter den vielfältigen europäischen Gesprächsformaten nicht als ein besonders herausragendes und dynamisches hervor. Diesem Weimarer Dreieck war nun zum 30-jährigen Jubiläum eine Festveranstaltung der Thüringer Landesregierung gewidmet, die in ihrer Halbherzigkeit symptomatisch war. Der Landesregierung und dem Ministerpräsidenten persönlich ist zu danken, dass der Jahrestag überhaupt begangen wurde. Von Berlin aus hatte es daran offenkundig kein Interesse gegeben. So war denn auch die Bundesregierung bei dem Festakt nur durch Staatsminister Michael Roth vertreten, der ein im Wesentlichen freundlich-unbedeutendes Grußwort ablieferte, in dem nur an einer einzigen Stelle das kleine Wörtchen „wieder“ einen Hinweis auf die Schwierigkeiten der politischen Realität gab: Die gemeinsamen europäischen Werte müssten „wieder“ gelten; damit sollte offensichtlich die kritische Auseinandersetzung mit Polens Verstößen gegen das Rechtsstaatsprinzip sowohl angesprochen als auch abgetan sein. Die französische Botschafterin, die es nicht für nötig befunden hatte, aus Berlin nach Weimar anzureisen, erklärte allerdings in einer Videobotschaft in perfektem Deutsch unverdrossen, das Weimarer Dreieck liege Frankreich „sehr am Herzen“. Der polnische Botschafter Andrzej Przyłębski war da und er sprach auch eine schöne Laudatio für das dieses Jahr mit dem Weimarer-Dreieck-Preis ausgezeichnete schulische Filmprojekt Kinema, ohne allerdings zu erwähnen, dass sich die polnische Seite daran vor zwei Jahren zum letzten Mal beteiligt hatte. So blieb es einem Lehrer des mit dem Preis ausgezeichneten Gymnasiums aus Rinteln in Niedersachsen vorbehalten, mehrfach zu wiederholen, dass polnische Beteiligung nur „in manchen guten Jahren“ zustande käme. Das Weimarer Dreieck präsentierte sich insgesamt als ein etwas angestaubter, wenig dynamischer politischer Rahmen für gutwillige und sinnvolle, aber nur mäßig lebendige zivilgesellschaftliche Kooperation. Dazu passte, dass das Preisträgerprojekt schon deutlich über zehn Jahre alt ist und wohl in der Vergangenheit bessere Tage gesehen hat.

Nebenbei verlautete in Weimar, die Außenminister Le Drian, Rau und Maas wollten sich am 10. September, noch vor der Bundestagswahl, wieder treffen. Über mögliche Themen für ihre Beratungen wurde nichts bekannt. Zuletzt hatten sie sich am 15. Oktober 2020 in Paris getroffen und sich in ihrer abschließenden Erklärung vor allem der Lage in Belarus gewidmet. Für das Treffen im September würden mir etliche Themen einfallen, zu denen die drei Außenminister gemeinsame Initiativen ergreifen könnten. Sie sollten z. B. mit einer gemeinsamen Erklärung deutlich gegen die chinesischen Versuche Stellung beziehen, das kleine Litauen unter Druck zu setzen, weil seine Außenpolitik Peking nicht passt. Sie könnten sich darauf verständigen, dass sie einen gemeinsamen Beitrag zur Aufarbeitung des aktuellen Afghanistan-Debakels leisten wollen. Sie könnten sich bemühen, den vagen Versprechungen zur Unterstützung der Ukraine, die der Biden-Merkel-Deal über Nord Stream 2 enthielt, mehr Konkretion und Verbindlichkeit zu geben. Sie könnten im Bereich nuklearer Abrüstung Ansätze zu einer gemeinsamen europäischen Initiative gegenüber den U.S.A, Russland und China formulieren. Sie könnten thematisieren, wie die drei Länder im Rahmen der anstehenden EU-Indopazifik-Strategie ihre Bemühungen koordinieren. Sie könnten darüber beraten, wie die polnische Drei-Meere-Initiative genutzt werden soll, um die EU-Konnektivitätspolitik voranzubringen. Ich fürchte allerdings, das meiste von dem, was ich hier aufliste, wird sich nicht auf der Tagesordnung finden, denn das Weimarer Dreieck ist ein nolens volens am Leben erhaltenes Dialogformat, dem aber von keiner der drei beteiligten Seiten wirklich eine strategische Bedeutung zugemessen wird. Und das ist der Kern des Problems. Trotz der unbestreitbaren Spannungen und Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen unseren drei Ländern böte dieses Dreieck einen Rahmen für politische Konsultation und für politische Initiativen, die der ganzen EU nützlich wären. Ich habe einmal in einer Bütis Woche versucht, zu beschreiben, dass sich innerhalb der EU unter den Mitgliedsländern unter den Parolen Souveränität, Solidarität, Stabilität drei verschiedene Lager herausbilden, die die Entwicklung gemeinsamer Politik immer schwerer machen. In einem Trilog zwischen Frankreich, Deutschland und Polen müsste und könnte es darum gehen, Wege zu suchen, wie solche Blockaden überwunden, statt befestigt, und die Handlungsfähigkeit der EU, die derzeit immer weiter hinter dem Erforderlichen zurückbleibt, wieder gestärkt werden kann. Gewiss ist mit der aktuellen polnischen Regierung nicht leicht Kirschen essen. Seriöse Beobachter fürchten inzwischen, dass deren Politik, falls ihr nicht Grenzen gesetzt werden, letztlich auf einen Polexit hinauslaufen könnte. Die Vorstellung, dass Paris, Berlin und Warschau gemeinsame Führungsverantwortung in der EU suchen sollten, ist sicherlich eine kühne. Und doch ist klar, das zeigte sich zuletzt bei der gemeinsamen Pleite, die Präsident Macron und Kanzlerin Merkel in der Russland-Politik gegenüber den EU-Partnern einstecken mussten, dass die deutsch-französische Achse in der EU der 27 als Führungsachse nicht reicht. Und ohne Berücksichtigung zentraler nationaler Interessen Polens, die Berlin leider im Falle der Ostseepipeline Nord Stream 2 verweigert, ist europäische Einheit und Handlungsfähigkeit nicht zu erreichen.

Ich bin überzeugt, die nächste Bundesregierung sollte dem Weimarer Dreieck neue Impulse und neue Dynamik verleihen. Der Letzte, der das versuchte, war Außenminister Steinmeier, der damit allerdings am völligen Desinteresse seines Amtskollegen Waszczykowski aus Warschau scheiterte. Danach nahm das polnische Interesse wieder zu, aber Paris stand eher auf der Bremse. Ohnehin steht Präsident Macron ja teilweise in dem Verdacht, dass der böse Satz eines seiner Amtsvorgänger, dass Polen in einer schwierigen europäischen Debatte eine prima Gelegenheit versäumt habe, den Mund zu halten, auch von ihm hätte stammen können. Aus deutscher Sicht allerdings ist sowohl das deutsch-französische wie auch das deutsch-polnische Verhältnis elementar und wir können keine erfolgreiche deutsche Außenpolitik machen, wenn eine dieser beiden Beziehungen krankt. Sie beide positiv zu entwickeln und nicht gegeneinander auszuspielen, das geht am besten im Dreieck. Ich finde, die neue Bundesregierung sollte zusammen mit den Partnern führende Thinktanks, also z. B. IFRI aus Frankreich, die SWP aus Deutschland und PISM aus Polen, damit beauftragen, strategische Szenarien für die Zukunft des Weimarer Dreiecks zu entwickeln. In einem sehr beschränkten Rahmen hat das die Heinrich-Böll-Stiftung vor ungefähr zehn Jahren schon einmal getan. Heute wäre das schwieriger, aber eben deswegen erscheint es mir als notwendig. 

Sonst noch

  • Am 1. und 2.9. finden die ersten Sitzungen des Handelsausschusses nach der Sommerpause statt. Am Mittwochmorgen diskutieren wir den Berichtsvorschlag zum Internationalen Beschaffungsinstrument. Am Mittwochnachmittag geht es um die WTO-Reform und am Donnerstagmorgen um die Aktivitäten im Bereich Handelsschutzinstrumente.
  • Die ersten Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses finden ebenfalls am 1. und 2.9. statt. Am Mittwochnachmittag sprechen wir ausführlich über die Ereignisse in Afghanistan. Außerdem steht Folgendes für die Sitzungen auf der Tagesordnung: Diskussionen zu Tunesien, Westbalkan und Weißrussland sowie Libanon und Mosambik; Abstimmungen über eine Reihe von Berichten, u. a. zu den EU-Taiwan-Beziehungen, an dem ich für die Grüne Fraktion mitgearbeitet habe.
  • „FitFor55“ ist das entscheidende Reformpaket für die Europäische Union, was uns noch auf den 1,5-Grad-Pfad bringen kann. Vom 1. bis 8.9. organisieren wir als Europagruppe Grüne deshalb die Themenwoche #JetztAberKlima, um allen unsere Verbesserungs- und Verstärkungsvorschläge zum EU-Klimafahrplan vorzustellen und darüber ins Gespräch zu kommen. 
  • Am 7.9. spreche ich bei der Online-Diskussion „China’s Systematic Rival: EU’s Ways to Withstand the Dragon“. Die Veranstaltung wird von EuroPolicy, EURACTIV Slovakia und der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag organisiert. Hier findet Ihr weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung.