#190 Die “Retrumplicans” – ein Trauerspiel | BÜTIS WOCHE

Dreimal habe ich seit der amerikanischen Präsidentschaftswahl am 3. November 2020 in einer Bütis Woche versucht, zur Analyse der politischen Entwicklung in den U.S.A. beizutragen, und mich dabei ganz stark auf die Republikanische Partei fokussiert. Am 7. November schrieb ich unter dem Titel Biden wird U.S-Präsident – und nun?: „Die Republikaner sind so gründlich zur Trump-Partei geworden, dass eine Revision dieser Verwandlung heute nicht vorstellbar erscheint. Der Trumpismus lebt weiter. It is here to stay. […] Die ,Versöhnung’, von der Biden in seinem Wahlkampf unablässig geredet hat, erscheint dagegen als hoffnungsloser Traum.“ Am 11. November kam ich unter der Überschrift Trump bleibt auf die Situation der Republikanischen Partei zurück: „Doch dass der Trumpismus bleibt, ist nicht alles. Trump selbst bleibt auch. […] Was Trump will, ist dies: seine Niederlage vor aller Augen für seine Anhänger unsichtbar machen. […] Kann er es durchsetzen, dass sein Diskurs der Diskurs ist, dem ein Republikaner sich anschließen muss oder sich jedenfalls nicht offen verweigern darf, dann gewinnt Trump eine Definitionshoheit, die ihn, nicht in der ganzen Gesellschaft, aber in deren rechten Teil, zur unhintergehbaren politischen Autorität macht. […] Dass eine Menge Dysfunktionalität (sc. der amerikanischen Politik) auf Jahre hinaus mit dem Namen und der Rolle von Trump verbunden bleiben wird, kann man kaum bezweifeln.“

Am 8. Januar, unter dem ungeheuerlichen Eindruck des Trump’schen Selbstputsch-Versuchs zwei Tage vorher, war ich, bei aller Erschütterung, optimistischer. Ich schrieb (6. Januar 2021: ein historisches Datum): „Auch nach der vielfachen Niederlage von Trump wird sich der Trumpismus nicht in Luft auflösen. Die Republikanische Partei wird nicht mehr die sein, die sie vor Trump war. Für einen John McCain hätte sie heute keinen Platz und selbst Mitt Romney, dem die Demokraten am 6. Januar im Senat donnernden Applaus zollten, wird in seiner Republikanischen Partei ein Außenseiter bleiben. Aber der 6. Januar hat ein fundamental wichtiges Ergebnis gebracht, indem er demonstrierte, dass die Resilienz der amerikanischen Demokratie am Ende doch, entgegen aller Befürchtungen, der zersetzenden Macht Trumps und seiner Bewegung, in der nicht nur für rassistische, frauenfeindliche und autoritäre Strömungen aller Art, sondern auch für offene Faschisten Platz war, widerstand. […] So wie der Sieg Trumps 2016, damals zusammen mit der Brexit-Entscheidung in Großbritannien, den antidemokratischen und populistischen Bewegungen in vielen Ländern zusätzliche Energie verlieh, so wird Trumps Ende zum Fanal gegen diese Gegner unseres Way of Life. Ob Trump persönlich schließlich im Gefängnis, im Bankrott, im russischen Exil oder nur in der gesellschaftlichen Verfemung landet, ist schon nicht mehr besonders wichtig. An Trumps rücksichtslosem Kampf gegen das Eingeständnis, verloren zu haben, zerbrach auch die Macht der Republikanischen politischen Maschine.“ Doch da war ich zu optimistisch. Dass Trump seinen „Nimbus als Dominator“ der G.O.P. eingebüßt habe, weil er durch die Unterstützung des Angriffs auf das Kapitol die Basis seines Bündnisses mit Mitch McConnell, Lindsey Graham und anderen führenden Republikanern zerstört hätte, die ihn bis dahin getragen hatten, kann man knapp acht Wochen später nicht mehr behaupten. Bei der Conservative Political Action Conference (CPAC) in Florida hat Trump seine erste öffentliche Rede nach Ende seiner Amtszeit gehalten und dabei eine bemerkenswerte Demonstration seiner fortdauernden Kontrolle über die Republikanische Partei abgeliefert. Er wiederholte alle seine Lügen über die angeblich durch Biden gestohlene Wahl und erntete Ovationen und schmeichlerische Ergebenheitsadressen. Opposition gegen Trump war nicht vorgesehen und wurde auch gar nicht versucht. Die wenigen republikanischen Abgeordneten, die nicht nur am 6. Januar selbst, sondern auch danach Trump deutlich kritisiert hatten, wie etwa Liz Cheney aus Wyoming, waren gar nicht eingeladen und hätten sich wohl um ihr Wohlbefinden Sorgen machen müssen, wenn sie aufgekreuzt wären.

Indem Trump bei der CPAC erklärte, er werde nicht, wie spekuliert worden war, eine eigene Partei gründen, zeigt, dass er inzwischen wieder darauf vertraut, die Republikanische Partei kontrollieren zu können. Jedem Einzelnen der aus seiner Sicht „Untreuen“, die er in seiner Rede namentlich aufzählte, hat er das politische Karriereende zugedacht und wird sich wohl nicht lumpen lassen, die vielen Millionen, die er nach seiner Wahlniederlage von seinen Anhängern eingesammelt hat, dafür einzusetzen. „Trump ist die Republikanische Partei“, sagte jemand aus seinem Umfeld kürzlich. Nicht nur CPAC spricht dafür, sondern auch Umfragezahlen, die seit dem 6. Januar publiziert wurden. Eine riesige Mehrheit der republikanischen Wählerinnen und Wähler glaubt, dass Bidens Wahlsieg auf einem Diebstahl beruhte. Eine riesige Mehrheit sieht Trump weiterhin als den Anführer der Republikaner. Eine deutliche Mehrheit wäre ihm sogar zu einer neuen Partei gefolgt, hätte er dazu aufgerufen. Und 55 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der CPAC wollen jetzt schon, dass er 2024 wieder als Präsidentschaftskandidat antritt. Die Scharade, die Mitch McConnell, inzwischen Minderheitsführer im Senat, aufgeführt hat, indem er erst gegen Trumps Impeachment stimmte, dann Trumps Verhalten am 6. Januar in einer sehr scharfen Rede verurteilte, um wenig später zu erklären, er werde Trumps Kandidatur 2024 unterstützen, zeigt die ganze Haltlosigkeit des republikanischen Führungspersonals, das sich ja hätte mit Trump wirklich anlegen müssen, um diesem die Kontrolle über die Partei zu entwinden.

Es bleibt also richtig, wie ich im November schrieb: „Trumpism is here to stay“ und „Trump bleibt“. Und trotzdem hat sich aus meiner Sicht eines verändert oder vielleicht auch nur geklärt, was im November noch undeutlich war. Der politische Erfolg des Trumpismus bleibt an die Person von Trump gebunden. Die Vorstellung eines Trumpismus ohne Trump, über die viele Kommentatoren spekuliert hatten, erscheint heute als ziemlich unplausibel, und das aus drei Gründen. Trump hat gar nicht die Absicht, erstens, seine Schäfchen einem anderen Hirten, besser sollte ich sagen, einem anderen Rattenfänger, zu überlassen. Diejenigen, zweitens, vom Schlage eines Ted Cruz oder Josh Hawley, die gehofft hatten, Erben des Trumpismus zu werden, haben das Format dafür nicht. Cruz hat sich mit seinem Cancún-Ausflug wieder einmal lächerlich gemacht, indem er bewies, dass er, anders als Trump, Empathie noch nicht einmal heucheln kann. Und Josh Hawleys Traum, „Kalif anstelle des Kalifen“ zu werden, haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der CPAC eine unmissverständliche Realitätsdusche verpasst: Gerade einmal drei Prozent von ihnen konnten sich ihn als Präsidentschaftskandidaten 2024 vorstellen. Drittens schließlich, und das spielt wohl die entscheidende Rolle, ist die Republikanische Partei in ihrem heutigen Zustand gar keine Partei mehr, noch nicht einmal in der eher lockeren U.S.-amerikanischen Bedeutung des Wortes, sondern eine quasi-religiöse Bewegung, die auf die Person des Erlöser-Verführers eingeschworen ist. Die Repulicans sind zu „Retrumplicans“ geworden. Die Quellen sozialer, kultureller, politischer Art, aus denen der Trumpismus sich speist, sind natürlich nicht erst mit Trump zur Geltung gekommen, aber er hat sie so in eine politische Form gegossen, dass sie durch seine Person und an seine Person gebunden wirken. Doch wenn es stimmt, dass der politische Trumpismus von Trump nicht abgelöst werden kann, dann begründet dies durchaus und trotz der unüberwindlichen Stellung Trumps in SEINER Republikanischen Partei eine Perspektive jenseits von Trump.

Trump hat schon bei den zwei Senatsnachwahlen in Georgia seiner Partei zur Niederlage verholfen. Es besteht durchaus die Aussicht, dass ihm dies bei den Zwischenwahlen 2022 erneut gelingen kann. Auch wenn Trumps Gegner in seiner eigenen Partei nicht stark genug sind, um an seinem Thron zu rütteln, wird es das republikanische Lager doch etliches kosten, wenn er, wie angekündigt, versuchen wird, sie seinerseits mit Stumpf und Stiel zu vertilgen. Das demobilisiert, wenn auch vielleicht nur marginal, aber das kann den Ausschlag geben. Zudem ist Trump nicht nur für die Demokraten, sondern auch für die Mehrheit der sogenannten Unabhängigen zu einer toxischen Marke geworden. Außer durch systematische Manipulation der Wahlgesetze, die noch viel rabiater von den Republikanern verfolgt werden wird als bislang schon, hat Trump keine Chance auf Wahlsiege. Und eine Republikanische Partei, die sich ihm bedingungslos unterwirft, beschädigt damit sich selbst auch. Man kann es vielleicht auf die Formel bringen: Je entschiedener die Republikaner Trump folgen werden, desto mehr bedrohen sie ihre eigenen Aussichten auf mehrheitsbildende Wahlerfolge. Die Republikaner hatten nach dem 6. Januar eine kleine Chance, sich Trumps Einfluss Stück für Stück zu entziehen. Diese Chance ist vorbei. Deshalb bleibt für aufrechte Vertreter der Partei George W. Bushs oder John McCains nur die politische Emigration, indem sie sich zurückziehen, wie es jetzt einige Senatoren angekündigt haben, oder die Partei verlassen, wie das bei weniger prominenten Fällen mehr und mehr vorkommt. Dass unter den Trump-Apostaten in Verbindung mit dem langjährigen Never-Trump-Lager der Kern für eine neue konservative Orientierung entstehen könnte, danach sieht es nicht aus. Solange jedenfalls Joe Biden keine schweren Fehler macht und damit eigene ParteigängerInnen zur Verzweiflung treibt, tut sich dafür wahrscheinlich keine Lücke auf.

Für die internationalen Beziehungen der U.S.A. bedeutet die fortdauernd starke Rolle Trumps, die die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft nicht nur zum Ausdruck bringt, sondern auch verschärft, eine anhaltende Glaubwürdigkeitsbelastung. Wie viel transatlantische Verlässlichkeit etwa wird Europa Joe Biden abnehmen, solange Trump um die Ecke lauert? Wie viel amerikanische Handlungsfähigkeit werden Peking oder Moskau oder Ankara in Rechnung stellen, solange Trumps Einfluss das Verhalten der Republikaner im Kongress wesentlich prägen wird?

Was Joe Biden betrifft, so hat die Entwicklung im oppositionellen Republikaner-Lager auch eine klärende Wirkung gezeigt. Er spricht weniger von Versöhnung. Zur Versöhnung gehören schließlich mindestens zwei. Versöhnung ist für die entscheidenden nächsten zwei Jahre nicht zu erhoffen. Die Republikaner spalten kann Biden auch nicht, allenfalls da und dort einzelne Dissidenten zu sich herüberziehen. Bei seinem ökonomischen Rettungspaket von 1,9 Billionen Dollar ist ihm das aber schon mal nicht gelungen. Also bleibt ihm wahrscheinlich nur der höchst widersprüchliche Versuch, bestimmte plausible Elemente republikanischer Politik einigermaßen überzeugend in eine rein demokratische Parteilinie zu integrieren, um so die programmatische Mehrheitsfähigkeit zustande zu bringen, die seine persönliche Popularität ergänzen muss, wenn er Amerikas tiefe Krise erfolgreich angehen will. Es bleibt eine Zerreißprobe für die amerikanische Demokratie.


Sonst noch
  • Meine Pressemitteilung zur Situation in Hong Kong könnt Ihr hier nachlesen.
  • Meine Pressemitteilung zur Einführung des neuen EU-Energielabels ist hier zu finden.
  • Mein Gespräch mit dem Deutschlandfunk zu den Ergebnissen des EU-Impfgipfels könnt Ihr Euch hier anhören.
  • Am 5.3. spreche ich im Rahmen des ersten deutsch-chinesischen Video-Syposiums von „Global Bridges“ und dem „Chinese People’s Institute of Foreign Affairs (CPIFA)“ zum Thema „The EU-China Comprehensive Agreement on Investment” (CAI).
  • In der nächsten Woche tagt das Europäische Parlament, hier die regelmäßig aktualisierte Tagesordnung.