Sonntag, der 14. Oktober 2018, war ein schöner, außerordentlich erfolgreicher Tag für Grüne gleich in drei Ländern Europas, in Bayern, in Belgien und in Luxemburg. Quasi im Gleichtakt wurden herausragende Wahlerfolge erzielt. Man braucht gar nicht übermäßig viel Euphorie, um darin eine Art „Grüne Welle“ zu sehen. Auf jeden Fall entsteht so Rückenwind, bei uns in Deutschland für die Hessen-Wahl in 14 Tagen, aber natürlich auch europaweit und insbesondere mit Blick auf die Europawahl im Mai 2019.
In Luxemburg, um mit dem kleinsten Land anzufangen, waren die dortigen Grünen, Déi Gréng, in der zurückliegenden Legislaturperiode in der Regierung. Sie hofften auf eine Bestätigung ihrer Arbeit, bei der sie sich vor allem im Umwelt- und im Verkehrsbereich ausgezeichnet hatten. Wahlanalysen zeigen, dass die Regierungsarbeit der Grünen deutlich besser bewertet wurde als die ihrer sozialdemokratischen und liberalen Koalitionspartner. Noch Ende letzter Woche sagte mir ein führender luxemburgischer Grüner, die Partei hoffe, die Zahl ihrer Parlamentssitze von sechs auf acht zu steigern. Nun sind es neun Sitze geworden. Und dies, obwohl die Piraten zum ersten Mal ins Parlament einzogen und obwohl die dortige Linkspartei auch zulegte. (Den Erfolg der Piraten zu analysieren, sollten wir nicht versäumen.) Mit 5 % über dem Vorergebnis demonstrierten die Luxemburger Grünen, dass Grüne Regierungsbeteiligung keineswegs automatisch mit Stimmverlusten zu bezahlen ist. Das war nach meiner Erinnerung zuletzt uns deutschen Grünen bei der Wahl 2002 gelungen. In Schweden erst dieses Jahr, in Dänemark und Irland schon etwas länger her, aber auch in Griechenland und Lettland war die Erfahrung eine andere. Deswegen macht das luxemburgische Ergebnis Mut weit über die Landesgrenzen hinaus.
In Belgien waren Kommunalwahlen, in denen sowohl die flämischen Grünen, Groen, als auch die wallonischen, Ecolo, hervorragend abschnitten. In allen Gemeinden, in denen sie in den zurückliegenden Jahren örtlich mitregiert hatten, legten sie zu. In Antwerpen, der Hochburg der flämischen Populisten/Nationalisten, verdoppelten sie ihren Stimmenanteil. In Brüssel wurden sie in vielen Stadtteilen zweitstärkste Kraft, auch in Etterbeek, wo ich wählen durfte. Im Nachbarstadtteil Ixelles wurden die Grünen stärkste Partei und werden wohl in einer Koalition mit den Sozialisten den Bürgermeister stellen, Christos Doulkeridis. In Ixelles wurde übrigens auch meine EGP-Kollegin Monica Frassoni als Gemeindevertreterin gewählt. In Forest wurden die Grünen auch stärkste Kraft, dort angeführt von meiner EGP-Vorstandskollegin Evelyne Huytebroeck.
In Belgien gewannen nicht nur die Grünen, sondern auch die Rechtsaußen von N-VA und Vlaams Belang sowie die Linksradikalen von PTB. Verlierer waren traditionelle Mainstream-Parteien. Wer sich die Schwäche der von der rechten MR geführten belgischen Regierung ansieht und die Skandale der Sozialisten, kann füglich bezweifeln, ob diese jemals zu alter Stärke zurückfinden werden. Es scheint, als würden sich zwei sehr verschiedene Alternativen zu deren ehemaliger Dominanz herausbilden: die Stärkung der Extreme oder die Neuorientierung auf die Grünen.
Für uns Grüne in Deutschland ist natürlich der Jubel über die erfolgreiche Bayern-Wahl besonders groß. Nicht nur erstmals zweistellig zu werden, sondern das letzte Prozentergebnis bei deutlich wachsender Wahlbeteiligung zu verdoppeln, zweite Kraft im Land zu werden und die ewig scheinbar unerschütterliche, selbstherrliche Dominanz der CSU zu brechen, das ist eine großartige Leistung und ein ganz hervorstechendes Ergebnis. So, wie es aussieht, werden die bayerischen Grünen wohl trotzdem nicht gefordert sein, in Koalitionsverhandlungen einzutreten; die CSU und vor allem Ministerpräsident Söder selbst ziehen die Freien Wähler als Partner vor. Da müssen sie, denken sie wohl, sich weniger ändern. Damit haben sie sicher Recht und zugleich spricht vieles dafür, dass die CSU sich dabei schwer verkalkulieren wird. Wer nach einer solchen dramatischen Wahlniederlage das Ergebnis beschönigt, wie Söder, weil es nicht ganz so schlimm ausgefallen ist, wie manche Prognosen voraussagten; wer durch Floskeln über die Notwendigkeit einer „eingehenden Analyse“, wie Seehofer, signalisiert, dass er vor allem Zeit gewinnen will, um dann beim Weiter so zu landen; wer, wie beide, stereotyp den Regierungsauftrag betont, den die CSU bekommen habe, ohne gleichermaßen den Veränderungsauftrag zu thematisieren, den das Wahlergebnis ausdrückt, der zeigt störrische Lernunwilligkeit. Mich erinnert das an die ersten Schwarz-Grünen Sondierungsgespräche, die es jemals gab, 1992 in Baden-Württemberg. Damals war eine kleine Minderheit in der Union für Schwarz-Grün, weil sie hoffte, auf diese Weise eine Art „Bluttransfusion“ von den Grünen zu bekommen – zur eigenen Erneuerung. Die Mehrheit unter Erwin Teufel fürchtete die notwendige Erneuerung mehr als die eigene Unbeweglichkeit und entschied sich damals für die SPD. Dem weiteren Aufstieg der baden-württembergischen Grünen hat das nicht geschadet, der CDU schon.
Das bayerische Wahlergebnis zeigt zahlreiche interessante Facetten, es hat jedoch meines Erachtens sehr klar eine Hauptbotschaft: Die politische Mitte bewegt sich auf uns Grüne zu. Mitte-Links wurde massiv geschwächt, Mitte-Rechts ebenso, beide verloren an Grün. Soweit man Wählerwanderungsanalysen vertrauen kann, bekamen die bayerischen Grünen sogar etwas mehr Zuzug von ehemaligen Wählerinnen und Wählern von CSU+FDP+FW als von ehemaligen Wählerinnen und Wählern der SPD. Zudem gelang es, in großer Zahl Neuwähler*innen und ehemaliger Nicht-Wähler*innern für Grün zu gewinnen. Wir wollen bei dem Jubel über unser Grünes Ergebnis nicht vergessen, dass die AfD nun in den 15. deutschen Landtag eingezogen ist, und das zweistellig, auch wenn sie ihr Bundestagswahlergebnis nicht erreichen oder gar verbessern konnte. Die Stimmen, die insgesamt für Parteien deutlich rechts von der Mitte abgegeben wurden, nahmen prozentig zu. Aber das Wahlergebnis bestätigt eben nicht die These, da ist eine Parallele zum belgischen Ergebnis, dass die Schwächung der Mitte-Parteien quasi per Automatismus Wasser auf die Mühlen von Extremisten fließen lässt. Die Mitte sortiert sich neu und kommt deswegen ein Stück weit auf uns Grüne zu, weil unsere Themen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und weil wir eine Sprache finden, die das so artikuliert, dass wir uns dabei nicht selbst im Weg stehen.
Es ist noch nicht sehr lange her, dass es bei uns Grünen parteiintern eine gewisse Aufregung über die Frage gab, ob Grüne mit dem Begriff Heimat Politik machen können oder dürfen. Ich habe dafür schon sehr lange geworben und argumentierte in der Kontroverse, dass für mein Dafürhalten der Wahlerfolg von Sascha Van der Bellen in der österreichischen Präsidentschaftswahl den Streit eigentlich schon entschieden habe. Jetzt kommt das bayerische Wahlergebnis dazu. Wer nicht völlig verstockt ist, muss es zur Kenntnis nehmen. Weltoffenheit geht auch in Dirndl und Lederhosen. Für Humanität gegenüber Flüchtlingen kann man sich auch im Bierzelt einsetzen, man kann ja Spezi oder Rhabarberschorle ins Glas füllen lassen. Und Grüne sind nicht nur politische Repräsentanten der Großstädte, so wunderbar es ist, dort in Bayern Nummer eins zu sein und in München fünf der neun Direktmandate zu erzielen. Wir legen auch auf dem Lande zu, weil wir ein Angebot machen, das sich nicht nur an Städter richtet und das den Gegensatz von Stadt und Land nicht verschärft wie die Politik anderer Parteien. Man kann bayerische Patriotin sein, sich um innere Sicherheit kümmern und im Wahlkampf nachts mit der Polizei auf Streife fahren und im Kampf gegen das ausufernde Polizeiaufgabengesetz die Stimme der Liberalität vernehmlich erklingen lassen. Grüne müssen nicht in die Falle gehen, entweder Globalisten oder Hinterwäldler zu sein. Heimat und Respekt vor stolzen Traditionen kann verknüpft werden mit Kampf gegen Engstirnigkeit und für Erneuerung und Innovation. In konservativer Weise konnte die CSU das viele Jahrzehnte lang. Das war die Basis ihres außerordentlichen Erfolges als Volkspartei. Das hat sie hinter sich. In Grüner Weise diese Verbindungen zu schaffen, um hegemonial zu werden, das ist nun unsere Chance und Aufgabe. Dabei müssen wir uns nicht nur öffnen für diejenigen Menschen, die dazukommen wollen, sondern auch aktiv ausgreifen, um sie mit allem, was sie können, für die Teilhabe an der gesellschaftlichen, ökologischen, wirtschaftlichen und demokratischen Erneuerung zu gewinnen, um die es geht, damit nicht die Extremisten am Ende siegen.
Der 14. Oktober 2018 ist nicht nur der Tag eines schönen Erfolges, er bietet auch Einsichten, die die Basis werden können für noch mehr Erfolge, wenn wir uns diesen Einsichten nicht verschließen.
Sonst noch
- Meine Pressemitteilung zu den Grünen Wahlerfolgen in Bayern, Belgien und Luxemburg könnt Ihr hier und die Pressemitteilung von Monica Frassoni und mir hier nachlesen.
- Lächerlich! EU-Umweltminister treten bei Automobil-Grenzwerten auf die Bremse und loben sich gleichzeitig selbst über den Schellenkönig. Deutschland/Ungarn/Bulgarien als trio infernale der EU-Klimapolitik.
- Am 12.10. war ich beim Young Europeans Lab „Your Idea to Change Europe“ im Bundestag. In unserem Workshop „Unser Europa fördert Frieden und steht für eine menschliche Flüchtlingspolitik“ gab es viele spannende Diskussionen und interessante Projektvorschläge.
- Der Trilog zur europäischen Kooperation bei der Überprüfung sensitiver ausländischer Direktinvestitionen macht gute Fortschritte. Hier mein Video dazu.
- Am 16. und 17.10. findet der 10. Deutsche Maschinenbau-Gipfel statt. Ich werde zum Thema „Herausforderung China – Neue Strategien für neue Chancen“ diskutieren.
- Die nächste Woche ist eine Straßburg-Woche, viele Themen stehen auf der Agenda: Aussprache mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis über die Zukunft Europas, Arbeitsprogramm der Kommission für 2019, Gesamthaushaltsplan der EU für 2019, Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt und mehr.