Kurze Zeit nach dem Einmarsch sowjetischer und einiger verbündeter Truppen in die damalige Tschechoslowakei fragte mich ein Freund, ob ich bereit sei, mit ihm nach Prag zu fahren. Wir sollten für einen nach Wien Geflohenen Bücher aus seiner Wohnung bringen. Wir unternahmen diese Reise und verbrachten einige Tage in dieser Wohnung. Wir durchstöberten viele marxistische Werke in der Bibliothek und hörten ideologisch orientierte Schallplatten. Ich werde nie vergessen, welchen Eindruck ein Gedicht über den jungen Stalin in ausgeprägt hartem, ja geradezu martialisch gesprochenem Deutsch, auf mich machte. Für mich war diese Platte ein Symbol für den Missbrauch der Kunst für Politik, noch dazu für einen abscheulichen Personenkult.
Der Inhaber dieser Wohnung – ich traf ihn selbst nie – muss ein treuer Kommunist gewesen sein, der aber – wie so viele – vom realen Sozialismus enttäuscht wurde. Viele Jahre später kam nach einem Vortrag eine junge Frau auf mich zu und bedankte sich für die Bücher und andere Erinnerungstücke, die wir ihrer Familie gebracht haben. Für sie war das eine wichtige moralische Unterstützung.
Auch die gewaltsame Besetzung der Tschechoslowakei konnte den Sozialismus nicht retten. Denn was sich als Sozialismus ausgab war ein diktatorisches System, das noch dazu von Moskau aus geleitet wurde. Und trotz Eisernem Vorhang und Todesschützen an den Grenzen gelang immer wieder Menschen die Flucht. Es gab auch viele hilfsbereite Länder und Menschen, die ihnen halfen, ein neues Leben zu beginnen. In dem wir uns an August 1968 erinnern, sollen wir an die Unmenschlichkeit von Diktaturen und Fremdherrschaft denken aber auch an die Notwendigkeit, Flüchtlingen eine neue Lebenschance zu geben.
Hannes Swoboda, geboren 1956, war von 1996 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments. Swoboda war einer der Balkanexperten des EP. Er beteiligte sich an der Initiative „A Soul for Europe“. Er ist Mitglied des Bundesparteivorstandes und des Wiener Vorstandes der SPÖ.