Macron/Sondierungen | BÜTIS WOCHE

Macron
Beim EU-Gipfel in Tallinn hat Angela Merkel für die Bundesregierung die Vorschläge des französischen Präsidenten Macron zur Reform der EU begrüßt. Zahlreiche Berichterstatter vergaßen nicht darauf hinzuweisen, dass die Bundeskanzlerin durch das Ergebnis der Bundestagswahl politisch geschwächt sei. Das klang so, als sollten die Leser daran erinnert werden, dass man nicht so genau wisse, wieviel die freundlichen Töne aus dem Kanzleramt tatsächlich wert sind. Auch gab Angela Merkel selbst einen Hinweis darauf, wie wenig ihre offizielle Stellungnahme letztlich über die deutsche Haltung aussagt; sie verwies darauf, man werde sich selbstverständlich über die Einzelheiten unterhalten müssen. Ein oft gebrauchtes und leicht durchschaubares Versteckspiel! In den Einzelheiten stecken so viele Teufel, dass man damit mehrere Höllen bevölkern könnte.

Zur Verteidigung von Angela Merkel kann man anfügen, dass sie vage bleiben musste, da sie ja die Politik der noch zu bildenden Bundesregierung nicht einfach vorwegnehmen kann. Und hatte nicht schon die FDP große Unlust verkündet sich auf wesentliche Bestandteile der macronschen Vorschläge überhaupt ernsthaft einzulassen?

Wir deutschen Grüne haben Macrons Rede begrüßt, Cem vorsichtig, ich mit etwas mehr Begeisterung. Schon vor der Bundestagswahl hatte Bloomberg in einem Überblick dargestellt, dass unsere Grünen Vorstellungen zur Europapolitik klar Macron-kompatibler seien, als die von Union oder gar FDP. Doch wie weit unsere Ideen und Vorschläge die deutsche Europapolitik mitprägen können, das steht offensichtlich noch dahin.

Jedenfalls steht eines fest: Nach den drei großen Europareden, die in den letzten Wochen gehalten wurden, der von Macron an der Sorbonne, der von Jean-Claude Juncker im Europäischen Parlament und der von Premierministerin May in Florenz, wartet Europa auf die deutsche Europarede. Die kann im Moment eben noch nicht gehalten werden. Davor kommt die Regierungsbildung. Spannend ist, inwieweit sie ein Reformdreieck zwischen den Hauptstädten Paris, Brüssel und Berlin konstituieren wird, was der EU neuen Schwung gibt. Oder ob sie eher in die Kategorie der May-Rede fällt: Reden, die keiner braucht und die wieder mal die Erwartungen enttäuschen.

Sondierungen
Am 30.09 entscheidet ein Länderrat von Bündnis 90/ Die Grünen, ob wir Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition aufnehmen sollen. Der Bundesvorstand hat dafür eine 14-köpfige Sondierungsgruppe vorgeschlagen, der ich, wenn sie bestätigt würde, auch angehören soll.

Sondierungen sind keine bloßen Geplänkel, schon gar nicht in diesem Falle, in dem es um eine schon gedanklich sehr gewöhnungsbedürftige politische Konstellation geht. Sondierungen müssen ernsthaft ausloten, ob man glaubt eine tragfähige Basis finden zu können. Käme die Sondierungskommission zu diesem Ergebnis, würde sie der Bundesdelegiertenkonferenz Ende Oktober vorschlagen konkrete Verhandlungen aufzunehmen, um die ins Auge gefassten Linien der Politik der nächsten Bundesregierung in konkrete Festlegungen und Arbeitsaufträge umzusetzen. Die Alternative wäre natürlich der Gang in die Opposition.

Ich höre viel Zuspruch dafür die Sondierungen ernsthaft aufzunehmen. Aus unserer Partei, aus der Zivilgesellschaft, aus anderen Grünen Parteien. Die wenigsten aber sind sich über die Schwierigkeit der Übung im Unklaren. Es ist sozusagen ein Langstreckenlauf auf einem Schwebebalken; man kann auf zwei Seiten herunterfallen, wenn man nicht aufpasst. Eine Art des Scheiterns wäre, wenn die Sondierungen so geführt wurden, dass sie nur der ängstlichen Suche nach Vorwänden für eine schnelle Flucht aus den Gesprächen dienen würden. Auf der anderen Seite fiele vom Schwebebalken, der sich so unter Druck setzen ließe zu einem positiven Abschluss zu kommen, dass alle Zeichen politischer Inkompatibilität ignoriert würden.

Diese Situation ist herausfordernd für uns, aber wir können sie, davon bin ich überzeugt, mit fröhlicher Entschiedenheit und mit klarem politischem Gestaltungswillen am Besten angehen. Ja, mit Jamaika würden wir uns auf ein Feld bewegen, auf dem wir, von wenigen Ländererfahrungen abgesehen, noch nicht waren. Aber wir sind nicht die Grünen, weil wir immer nur in Status quo-Kategorien denken wollen. Vielleicht ist jetzt die Zeit, dass etwas Neues gelingen könnte. Wir müssen das ausloten.

Ganz gewiss ist, dass wir in einer solchen Koalition nicht 100% unseres Programmes verwirklichen könnten, noch nicht einmal 50%. So war das auch 1998 bei der rot-grünen Koalition. Damals kämpften wir mit aller Kraft dafür, den Atomausstieg, die Ökosteuer, ein liberales Staatsbürgerschaftsrecht und die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften durchzusetzen. Wir mussten dabei Kompromisse machen und auf anderen Themenfeldern sowieso. Aber der Atomausstieg und die Förderung der Erneuerbaren, die wir damals losgetreten haben, hatten nicht nur für unser eigenes Land und nicht nur für Europa, sondern weltweit bis heute wirksame strategische Konsequenzen. Was wäre es wert, wenn wir diesmal zeigen könnten, dass das viertgrößte Industrieland der Welt nicht nur aus der Atomkraft, sondern auch aus der Kohleenergie aussteigen kann, um den Klimawandel wirksam entgegenzutreten!

Mit dem 10 Punkte Programm, das die BDK angenommen hat, haben wir unsere Gestaltungsprioritäten deutlich markiert. Daran wird sich jedes Sondierungsergebnis messen lassen müssen. Sollte es danach zu Koalitionsverhandlungen kommen, würden wir selbstverständlich sehr gewissenhaft die ganze Breite unseres Bundestagsprogrammes durchverhandeln, um zu sehen was konkret geht.

Wenn ich von fröhlicher Entschiedenheit spreche, dann impliziert das, dass wir mit dem erwähnten Gestaltungswillen selbstbewusst Wege suchen, wie eine Jamaika-Regierung funktionieren könnte, in der wir erfolgreich sind. Das kann man nicht hinkriegen, wenn man nur beklagt, dass Sondierungspartner nicht von vornherein so ticken wie wir oder sogar in die Gegenrichtung aufbrechen wollen. Ich finde, wir sind mit unseren Prioritäten ganz gut aufgestellt. Ich höre, dass die FDP sich intern mindestens so sehr sorgt wie wir. Und jeder sieht, dass die Union nach ihrer schweren Wahlniederlage ihre Ordnung erst noch finden muss. Also nur Mut beim Auskundschaften!

Genau so klar gilt: Was nicht geht, geht nicht. Oder, wie Winfried Kretschmann manchmal schon Thomas von Aquin zitiert hat: „Ultra posse nemo obligatur“. Das Selbstbewusstsein haben wir schon auch, nein zu sagen, wenn nötig. Wer genau hinhört, entdeckt genug Signale, dass die SPD vielleicht, vielleicht doch wieder eine „große“ Koalition machen würde. Doch von all den denkbaren taktisch-machtpolitischen Eventualitäten sollte man sich nicht verwirren lassen. Wir wissen, was wir wollen. Wenn wir das in einer Regierung voranbringen können, sollten wir es tun. Wenn nicht, sollten wir halt anders für unsere Ziele kämpfen.


 

Sonst noch
  • In dieser Woche habe ich der taz ein Interview über ein mögliches Jamaika-Bündnis gegeben.
  • Nächste Woche tagt das Europäische Parlament in Straßburg. Auf der Tagesordnung steht unter anderem die Abstimmung meines Berichts über die politischen Beziehungen der EU zum ASEAN, den ich vorher im Plenum präsentieren werde.
  • Emmanuel Macron sprach am Dienstag vor Studenten der Sorbonne Universität in Paris von seinen Zukunftsplänen für die Europäische Union.
  • Zum EU-Digitalisierungsgipfel trafen sich die zuständigen Minister der Mitgliedsländer an diesem Freitag, 29.09., in Tallinn.
  • EU Expertengruppe diskutierte das umstrittene Nordstream2-Projekt am Donnerstag, 28.09.17.