#45 Bütis Woche: Drei Jahre bis zur nächsten Europawahl: Beunruhigende Grüne Schwäche in der EU

Auf der Website www.foederalist.eu wird Monat für Monat auf Basis unterschiedlicher nationaler Umfrageergebnisse hochgerechnet, wie sich aktuell wohl die 751 Sitze im Europäischen Parlament verteilen könnten. Für unsere Fraktion Grüne/EFA gab es dabei im Mai 2016 eine positive Nachricht: Zum ersten Mal seit Anfang 2015 würde die Fraktion nach diesen Berechnungen mit einem Plus von drei Sitzen wieder auf 40 Sitze kommen!

Entschuldigung, das ist natürlich Sarkasmus. Denn derzeit kommt unsere Fraktion, die ja bekanntlich aus Grünen, Regionalisten, Unabhängigen sowie ÖDP und Piratenpartei besteht noch auf 50 Sitze. Damit stehen wir aktuell nach der Größe der Fraktionen an sechster Stelle. Mit 40 Abgeordneten würden wir auf den achten und letzten Platz abrutschen. 29 Grüne aus zehn verschiedenen Ländern sowie elf Sonstige würden diese Fraktion ausmachen. Deutlich mehr als die Hälfte der EU-Mitgliedsländer wären nicht in ihr vertreten.

Man kann diese erschreckend schwachen Zahlen nur als Ausdruck einer faktisch europaweiten grünen Krise verstehen. Nun sind, das will ich betonen, die Zahlen natürlich mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, weil ihnen unterschiedliche nationale Umfragen zugrunde liegen, die teilweise auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben wurden. Doch die Tendenz ist eben unbestreitbar. Nur aus drei EU-Ländern hätten wir nach diesen Zahlen mehr Europaabgeordnete als derzeit: Deutschland (12 statt 11), Niederlande (3 statt 2) und Finnland (2 statt 1). In Schweden hätten wir noch ein Mandat statt derzeit vier. In Frankreich noch zwei statt derzeit sechs (2009 waren es dort 15 grüne Mandate).

Zusätzliche Dramatik verleiht den schwachen grünen Zahlen der Umstand, dass sie unsere weitgehende Unfähigkeit signalisieren, irgendwie von der Schwäche von Sozialdemokratie und Christdemokratie zu profitieren. Die zwei größten Fraktionen im Europäischen Parlament, die Europäische Volkspartei sowie die Sozialisten und Demokraten, würden nämlich gegenüber ihrem Ergebnis von 2014 zusammen in derselben Übersicht mehr als 50 Mandate verlieren. Gewinner wären die ganz Rechten mit zusammen plus 36, und die Liberalen mit plus 18; die Linken wären annähernd stabil.

Wer die Europäischen Grünen etwas kennt, wird sich davor hüten, einen einzigen einheitlichen Grund für die EU-weite grüne Schwäche ausmachen zu wollen. Die schwedischen Grünen befinden sich gerade in den Turbulenzen, die bis jetzt noch jedes Mal die erste Regierungsbeteiligung einer grünen Partei begleitet haben. Nur zur Erinnerung: 1999 verloren wir deutsche Grüne bei der Europawahl drastisch. Die französischen Grünen zerlegen sich in einer Art und Weise, die mehr mit Stammeskriegen gemeinsam hat, als mit politischem Streit um eine überzeugende grüne Perspektive. In Kroatien ist unsere Partei OraH nach einem strahlenden Aufflackern 2014 inzwischen zusammengebrochen. In Irland und der Tschechischen Republik ist der erkennbare Neuaufschwung noch nicht weit genug gediehen. In Italien und Polen gibt es zwar formell grüne Parteien, die aber so schwach sind, dass sie zu eigenständigem politischen Handel auf der nationalen Ebene außer Stande sind. In Griechenland haben wir zwar einen Umweltminister in der Regierung, aber die Partei ist jenseits dessen so gut wie nicht wahrnehmbar. Ich will jetzt nicht alle anderen Länder aufzählen. Entscheidend ist die Schlussfolgerung: Wenn wir deutsche Grüne nicht wollen, dass wir in absehbarer Zeit in der europäischen politischen Landschaft weitgehend alleine stehen, dann müssen wir jetzt uns wesentlich stärker als bisher in den Zusammenhang der europäischen Grünen Parteien einmischen. Es liegt ja auf der Hand: selbst wenn 2019 15 deutsche Grüne ins EP gewählt würden, würden diese in Gefahr stehen, mangels breiterer grüner Verankerung in anderen Ländern auf EU Ebene weitgehen wirkungslos zu bleiben.

Von der Bundesrepublik ist in den letzten Jahren immer mehr als von einer de-facto Führungsmacht der EU die Rede gewesen. Auch in der grünen europäischen Familie müssen wir die de-facto Führungsverantwortung der deutschen Grünen zur Kenntnis nehmen. Ich bin im Falle Deutschlands nicht dafür, dass es sich als Hegemon aufspielt, und ich bin auch nicht dafür, dass die deutschen Grünen in einen solchen Fehler verfallen. Vielleicht müssen wir bei der Europäischen Grünen Partei darüber nachdenken, wie unter den stabileren Mitgliedsparteien Führungsverantwortung geteilt werden kann. Aber wir können diese Frage nicht lange liegen lassen. Es sind nur noch drei Jahre bis zur nächsten Europawahl.