#44 Bütis Woche: In Österreich vollzieht sich ein Rechtsrutsch. Kann Grüne Stabilität ihn aufhalten?

Wir Grüne müssten “Orientierungspartei” werden und uns damit auf eine neue Phase unserer Politik einstellen, hatten wir nach der Baden-Württemberg-Wahl beim Länderrat, unserem kleinen Parteitag, vor 14 Tagen analysiert. Und hatten noch zögernd angefangen zu überlegen, wie das auch jenseits von Kretschmann-Land hinzukriegen ist. Robert Habeck hat diese Überlegungen vor wenigen Tagen beim Landesparteitag der schleswig-holsteinischen Grünen vertieft und damit die Debatte zwischen den Bewerbern um die Grünen Spitzenkandidaturen für 2017 eröffnet.

Doch in unserem Nachbarland Österreich stellt sich dieselbe Frage derzeit überaus praktisch und mit hoher Dramatik. Wenn es Alexander van der Bellen, dem ehemals langjährigen Vorsitzenden der österreichischen Grünen, nicht bis zur zweiten Runde der Präsidentenwahl gelingt, eine solche Orientierung anzubieten, dass er enttäuschte Sozialdemokrat*innen, Christdemokrat*innen, wirkliche Liberale und Unabhängige mit seinen bisherigen 21% Unterstützer*innen zu einer Mehrheit zusammenfügen kann, dann kippt Österreich nach Rechtsaußen, fällt unter die Hegemonie der FPÖ.

Die bisherigen Zentralparteien der Demokratie in Österreich sind unten durch. SPÖ und ÖVP bekamen bei der ersten Runde der Präsidentenwahl zusammen nicht mehr Stimmen als van der Bellen allein. Doch ganz vorne liegt die rechtsaußen populistisch hetzende FPÖ mit 36%.

Der Rechtsrutsch ist schon Fakt. Er wurde darin sichtbar, dass die SPÖ-ÖVP-Koalition in der Flüchtlingspolitik seit Monaten der FPÖ hinterherlief. Jetzt hat sich gezeigt, dass Meinungsumfragen, welche inzwischen die FPÖ als stärkste Partei sehen, nicht aus der Luft gegriffen sind. Wie weit geht der Rechtsruck? Kann ihm ein Gegenpol entgegen gesetzt werden, der sich um den Grünen Kandidaten bildet?

Manche in Österreich reden jetzt von einem Lagerwahlkampf Grün gegen Blau, die Farbe der FPÖ. Ich glaube nicht, dass ein einfacher Lagerwahlkampf erfolgreich sein wird. Denn um eine Mehrheit zu erreichen, muss van der Bellen auch ÖVP-Wähler*innen erreichen, die sich nicht unbedingt einem progressiven Lager zuschlagen lassen würden. Andere reden von einer Koalition der “Anständigen”. Auch das greift meines Erachtens zu kurz. Wenn die FPÖ bei Menschen mit geringem Bildungsstand mit riesengroßem Abstand vor allen anderen Parteien führt, kann man das nicht alles als “unanständig” abhaken.

Van der Bellen wird die Umrisse einer neuen gesellschaftlichen Übereinkunft wenigstens skizzieren müssen, seine Ideen für eine Neuinterpretation der “Heimat Österreich” plausibel machen. Da er seine Kandidatur von vorne herein so angelegt hat, kann er es vielleicht schaffen. Es wäre für uns alle, für Europa enorm wichtig.

In einer EU, in der rechte Populisten in vielen Ländern auf dem Vormarsch sind, die Sozialdemokraten fast überall politisch entkernt dastehen, die Christdemokraten, Konservativen und meisten Liberalen zunehmend unter Druck von rechts kommen, müssen wir Grünen uns eigentlich überall die Fragen stellen, vor denen van der Bellen jetzt steht. Und das schnell. Nach irgend einem Schema F geht das nicht, die Bedingungen sind unterschiedlich. Ob wir das schaffen?

Photo by archer10 (Dennis) (Taking a break)