Grüne Wege zum Ausbau der Stromnetze

Ein Grundsatzpapier von Ingrid Nestle, Reinhard Bütikofer, Rebecca Harms, Claude Turmes, Hans-Josef Fell.

  • Der gesamte Netzausbau wird auf Erneuerbare Energien und das Ziel einer 100% regenerativen Stromversorgung ausgerichtet. Als Basis für die Netzplanung dienen realistische aber anspruchsvolle Langfrist-Szenarien.
  • Alle relevanten Netzdaten müssen öffentlich gemacht werden. Dadurch kann für alle Beteiligten Transparenz und Nachvollziehbarkeit geschaffen werden.
  • Höhere Akzeptanz auch durch frühe Beteiligung der Anlieger, (Teil-)Verkabelung der Strecken, Infrastrukturbündelung z.B. entlang der Autobahnen und eventuell Kompensation der Anwohner.
  • Die große Infrastrukturmaßnahme Netzausbau ist auch ein Wirtschaftsfaktor, der Arbeitsplätze und lokale Wertschöpfung schafft; ökologische und soziale Kriterien spielen für den Grünen Netzausbau eine zentrale Rolle.
  • Konsequentes Unbundling: Private wie öffentliche Netzinvestoren müssen von der Stromerzeugung eigentumsrechtlich getrennt sein.
  • Die Modernisierung und der Ausbau der Verteilnetze zu Smart Grids ist Schlüsselelement der Strategie.

Nur so ist Netzausbau sinnvoll. Außerdem helfen diese Punkte, die Akzeptanz zu erhöhen.

  • Starke Regulierung aller Netzebenen mit Ausrichtung auf EE-Förderung.
  • Auf den bestehenden Netzebenen soll der Druck auf die Betreiber durch eine Verpflichtung zum Ausbau und Haftungsregelungen erhöht werden, um den Netzausbau sicherzustellen
  • Für den Netzausbau auf einer neuen Overlay-Spannungsebene und die Grenzkuppelstellen wird durch neue Akteure mehr Wettbewerb geschaffen. Planung, Besitz und Betrieb dieser Netze können voneinander getrennt werden. So wird anderes Kapital mobilisiert:
    • Entweder öffentliches Kapital zu ca. 2% Zinsen, das dem Staat eine gute Rendite verspricht und trotzdem die Kapitalkosten der Netze gegenüber den Ansprüchen der momentanen Netz-Akteure deutlich senkt.
    • Alternativ wird der Netzausbau ausgeschrieben. So sollen Investoren gewonnen werden, die nach einer sicheren Anlagemöglichkeit zu moderaten Zinsen suchen.

Es gibt in Europa sehr unterschiedliche Erfahrungen mit verschiedenen Besitzstrukturen der Netzbetreiber. Positive Beispiele sind Spanien und Dänemark, eher problematisch sind die Konzepte in Deutschland und Frankreich.

Diese Punkte dienen dazu, Druck auf die Netzbetreiber aufzubauen, die nicht immer ein eigenes Interesse am Ausbau der transnationalen Netze haben.

Im Gegensatz zu den Plänen der Regierung kann ein Netzausbau so überhaupt stattfinden! Denn es wird den zwei dem Netzausbau entgegen stehenden Haupthemmnissen begegnet: Der fehlenden Akzeptanz bei den Anliegern und dem „Unwillen“ der Netzbetreiber, tatsächlich aktiv zu werden.


Overlay-Netze – Eine zusätzliche Spannungsebene

Netzoptimierung geht grundsätzlich vor Netzausbau. Auch der konsequente Ausbau von Energieeffizienzmaßnahmen, innovatives Lastmanagement sowie die Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien in die bestehenden Netze sollen vorangetrieben werden. Durch diese Maßnahmen und die erzeugungsnahe Ansiedlung von Vielstromverbrauchern wie Datenzentren wird die Notwendigkeit für Netzneubau reduziert.

Doch auch eine umfassende Optimierung der bestehenden Netze wird einen bedeutenden Ausbau kaum ersetzen können. Dabei ist zunächst der Ausbau der Verteilnetze zentral, perspektivisch könnte aber auch eine europäisch gedachte Overlay-Netzebene hinzukommen. Diese europäische Idee steht im Fokus der folgenden Ausführungen.

Der Aufbau zunächst einzelner Overlay-Leitungen und perspektivisch eines Overlay-Netzes (als zusätzliche Netzebene oberhalb der bestehenden Übertragungsnetze) erleichtern den Weg zu 100% EE noch einmal deutlich. Denn diese Höchstspannungs-Leitungen ermöglichen einen verlustarmen Stromtransport auch über weite Strecken. So können sie zu einer Entlastung der anderen Spannungsebenen führen und insgesamt sogar die Zahl der nötigen Leitungen reduzieren. Bisher existiert aber kein politischer Mechanismus in Europa, der den Aufbau dieser Netze steuert und in politisch gewünschte Bahnen lenkt.

Vorschlag für die Schritte zur Umsetzung des Overlay-Netzes

  1. Auf europäischer Ebene eine öffentlich kontrollierte Institution schaffen, die den Netzausbaubedarf anhand anspruchsvoller EE-Ausbauszenarien feststellen und begründen kann (z.B. ACER + Beirat mit Wissenschaft und Netzbetreibern).
  2. Dringliche Strecken werden von dieser Institution glaubwürdig identifiziert und auf nationaler wie auf europäischer Ebene in verbindliche 10-Jahres-Entwicklungspläne (TYNDP) aufgenommen (DENA Netzstudie allein wird nicht akzeptiert, zu großer Einfluss der fossilen Industrie)
  3. Netzmodelle und –daten für die Öffentlichkeit zugänglich machen, um so für Transparenz in der Bedarfsbestimmung zu sorgen
  4. Planung, Bau und Betriebsführung werden nach dem identifizierten Bedarf einzeln ausgeschrieben
  5. Intensive Öffentlichkeitsbeteiligung an den Planungsprozessen
  6. Schrittweiser Bau der Strecken, eventuell im Besitz der öffentlichen Hand (kaum Risiko aber vernünftiger Gewinn für den Haushalt)
  7. Eine europäische Hauptschaltwarte, die die Stromflüsse grenzüberschreitend optimiert, ist anzustreben. Eine starke Regulierungsbehörde ist mit Personal in der Hauptschaltwarte präsent und überwacht die ordnungsgemäße Betriebsführung
  8. Umlegung der Kosten auf die Netznutzungsentgelte
  9. Mittelfristig sollte ein gerechtes europäisches Umlagesystem gefunden werden
  10. Kontrolle, dass der EE-Vorrang jederzeit gewährleistet bleibt

Overlay-Netze – Kompakt

Üblicherweise wird für Overlay-Netze (auch Super Grids genannt) die Nutzung der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) vorgeschlagen. Es sind jedoch auch andere Technologien wie ein Wechselspannungssystem mit einer geringen Frequenz von z.B. 16 2/3 Hz denkbar, perspektivisch vielleicht auch bipolare Drehstromsysteme oder Supra-Leitungen. Der Aufbau eines zusätzlichen übergelagerten Netzes sollte in enger Abstimmung mit dem Ausbau in den Übertragungs- und Verteilnetzen erfolgen.

Notwendigkeit von Super Grids

  • Der steigende Anteil von Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung erfordert neue Netzstrukturen. Denn die bestehende Netzinfrastruktur kann mit einer Einbahnstraße verglichen werden, die den in Großkraftwerken produzierten Strom zu den Verbrauchern verteilt.
  • Super Grids bieten durch den weiträumigen Austausch von Strom eine ökologisch und ökonomisch effiziente Option für eine zu 100 % erneuerbare Stromerzeugung. So kann der massive Ausbau von Speichern und Überkapazitäten in der Erzeugung vermieden werden.
  • Die „Stromautobahnen“ können den Netzausbau im Übertragungsnetz mindern.
  • Größere Leitungskapazitäten stärken den internationalen Stromhandel und schwächen damit die bestehenden nationalen Oligopole

Hemmnisse

  • Der Umfang des Projekts bedingt sehr große Investitionsvolumina. Denn selbst einzelne Trassen verlaufen über große Distanzen.
  • Der Bau des Overlay-Netz beinhaltet für Investoren noch viele Unsicherheiten in Bezug auf die Rahmenbedingungen, unter denen die Netze in Zukunft betrieben werden können. Zum Beispiel die Entwicklung der Erzeugungsstruktur um die Netze, der Marktzugang zu den nationalen Märkten, die Regulierung transnationaler Netze.
  • Ein Overlay-Netz ist ein natürlicherweise internationales Projekt. Deswegen müssen die Nationalstaaten Kompetenzen abgeben und es sind viele verschiedenen Interessen vorhanden.
  • Die Kompetenz zur technischen Bewertung und Ausbauplanung liegt traditionell bei den Betreibern der bestehenden (Übertragungs-) Netze. Diese haben teilweise dem Netzausbau entgegenstehende Interessen.
  • Die Akzeptanz der Trassenanlieger für neue Leitungen ist grundsätzlich sehr gering. Diese ist jedoch für die Umsetzung des Overlay-Netzes von fundamentaler Bedeutung, da über sehr weite Strecken neue Trassen eingerichtet werden müssen (siehe oben).

Politischer Handlungsbedarf – Umsetzung

  • Der Ausbau des Overlay-Netzes sollte sich an einem prognostizierten Bedarf anhand von anspruchsvollen Ausbauszenarien für EE orientieren. Ein frühzeitiger Ausbau und der damit gesicherte Anschluss sowie Abtransport der erzeugten Energie mindert das Investitionsrisiko für Anlagenbetreiber. Ein zügiger Ausbau der erneuerbaren Energien wird so gefördert.
  • Mittelfristig soll eine von den Marktakteuren unabhängige supranationale Organisation zur Ausbauplanung und Regulierung des Netzbetreibers geschaffen werden, um den Ausbau zu steuern und voranzutreiben. Die Agentur für die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden (ACER) könnte gemeinsam mit einem wissenschaftlichen Beirat auch die Netzplanung überwachen. Die Planung des Overlay-Netzes kann in die Zehn-Jahres-Netzentwicklungspläne (TYNDP) integriert werden, die verbindlich sein sollten.
  • Da Stromnetze natürliche Monopole sind, müssen die Netze unabhängig von der Besitz- und Betriebsstruktur streng reguliert werden.
  • Der Bau des Overlay-Netz durch eine öffentliche Netzgesellschaft ist eine denkbare Lösung. Dabei ist ein europäischer bzw. supranationaler Netzbetreiber denkbar. Die Betriebsführung selbst kann ausgeschrieben werden.
  • Alternativ wird der ermittelte Bedarf an einzelnen Trassen bzw. Netzabschnitte ausgeschrieben. Die Ausschreibung muss so gestaltet werden, dass dem Planungsorgan und dem Regulierer die notwenigen Daten zur Verfügung stehen, um seinen Aufgaben nachkommen zu können.
  • Um eine zügige Optimierung der Netze zu ermöglichen, werden kurzfristig bereits auch nationale und bilaterale Referenzprojekte angestoßen. Die Netzbetreiber und die gebauten Trassen können später in einer einheitlichen Struktur aufgehen.
  • Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen erfolgt die Kostenverteilung über die Netzentgelte auf die Stromendkunden. Zu Anfang können die Netzentgelte auf die direkt profitierenden Anrainerstaaten umgelegt werden. Langfristig sollte ein gerechter europäischer Mechanismus zur Kostenwälzung gefunden werden.
  • Auch der Ausbau der Grenzkuppelstellen wird nach Feststellung des Bedarfs ausgeschrieben.
  • Privatwirtschaftliche Initiativen, die den übergeordneten Planungen nicht entgegen laufen, bleiben von diesem Vorgehen unberührt. Jedoch nur solange sie zielstrebig durchgeführt werden (Motto UIOLI- use it or lose it, gilt auch für ausgeschriebene Trassen).
  • Nicht nur um die Akzeptanz zu erhöhen fordern wir mehr Transparenz und frühzeitige Bürgerbeteiligung. Auch sollte bei der Trassenfindung und -ausgestaltung nicht nur nach Kosten- sondern auch nach Akzeptanzkriterien entschieden werden. Dabei sind (Teil-)Verkabelungen und die Nutzung bestehender Korridore oder Infrastrukturen wie Bahn, Autobahn oder Schiffskanäle grundsätzlich zu bevorzugen.