Zu den Wahlen in den USA erklärt Reinhard Bütikofer, transatlantischer Sprecher der Grüne/EFA-Fraktion im Europaparlament:
„Die von den meisten Umfragen prognostizierte „rote Welle“ bei den US-Wahlen zugunsten der Republikanischen Partei ist ausgeblieben. Präsident Biden erzielte bei dieser Zwischenwahl ein besseres Ergebnis als seine Demokratischen Vorgänger Clinton und Obama zu ihrer Zeit.
Im transatlantischen Verhältnis folgt aus dieser Wahl keine Disruption, aber ein fortgesetzter Wandel. Auch wenn die pessimistische Annahme, im Jahr 2024 werde Donald Trump wieder US-Präsident werden, ein Stück unrealistischer geworden ist, so bleibt doch genug Grund für die EU, sich auf weitere Verschiebungen im Verhältnis zu den USA einzustellen.
Präsident Biden wird von einer Republikanischen Mehrheit im Abgeordnetenhaus dazu gezwungen werden, sich in noch größerem Umfang als bisher in ständiges innenpolitisches Handgemenge verwickeln zu lassen. Das behindert seine außenpolitische Handlungsfähigkeit. Handelspolitisch ist Biden gegenüber der EU konfliktwilliger als Obama je war, und das Konfliktpotenzial nimmt zu. Mit Blick auf die Präsidentenwahl 2024 wird Biden seinen Fokus auf die indopazifische Region stärken und sich dabei insbesondere auf den Hegemonie-Wettlauf mit China konzentrieren. Bidens starke Unterstützung für die Verteidigung der Ukraine kommt von rechten Republikanern wie von linken Demokraten unter Druck.
Die EU muss unter diesen Umständen zwischen den Extremen einer illusorischen Autonomie und eines bequemen Verlassens auf die USA ihre strategischen Prioritäten setzen. Es braucht mehr europäische militärische Unterstützung für die Ukraine. Die EU muss die Zusammenarbeit mit den USA gegenüber China vertiefen, ohne sich dabei die US-Perspektive vollständig zu eigen zu machen; deswegen braucht es eine konsequente Zusammenarbeit mit anderen demokratischen und multilateral gesinnten Partnern. In handelspolitischen Fragen kann sich die EU gegenüber den USA nicht nur auf das Prinzip Hoffnung verlassen, sondern wird Washington klar machen müssen, dass Partnerschaft und Solidarität keine Einbahnstraße sind. Wo die USA das Zusammenwirken mit Ländern des Globalen Südens vernachlässigen, muss die EU bessere Angebote machen, um zu verhindern, dass Peking und Moskau dort noch mehr Einfluss gewinnen. Dazu muss die Global Gateway-Initiative endlich tatsächlich in Gang kommen.“