Vom schwierigen deutsch-polnischen Verhältnis | BÜTIS WOCHE #238

Diese Woche war ich nicht zu den Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments in Straßburg, sondern habe in Warschau am Warsaw Security Forum (WSF) teilgenommen und eine ganze Reihe von politischen Gesprächen geführt. Deshalb gibt es diesmal keine Plenarnotizen vom Europäischen Parlament, sondern eine Bütis Woche.

Bei meinen Gesprächen in der polnischen Hauptstadt kam das Beste ganz zum Schluss. Der Senatsmarschall, Tomasz Grodzki, betonte in einem freundlichen Gespräch, das deutsch-polnische Verhältnis sei seiner Meinung nach grundsätzlich sehr stabil und gut. Grodzki gehört, das liegt angesichts dieser Aussage eigentlich auf der Hand, der polnischen Opposition an, die im Senat über die Mehrheit verfügt. Die Opposition hofft, bei den kommenden Wahlen, die voraussichtlich im Oktober 2023 stattfinden werden, die derzeitige Regierungspartei PiS ablösen zu können. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht, auch wenn PiS in den Umfragen regelmäßig als stärkste Partei mit ungefähr 35 Prozent der Stimmenanteile geführt wird. PiS wird es aber, so sagen die Auguren, schwer haben, einen Koalitionspartner zu finden. Es könnte deshalb eine neue Mehrheit geben, die sich aus der von Donald Tusk geführten liberal konservativen Partei, aus der neuen christdemokratisch-liberalen Partei Polska 2050, aus der Linken (Ex-Kommunisten, Biedroń und Ex-Grünen) sowie aus der Bauernpartei PSL zusammensetzen könnte. Von diesen Parteien verfolgt keine eine anti-deutsche Politik, auch wenn die meisten von ihnen etliche Kritik an dem Kurs Berlins in den letzten Jahren und auch an der aktuellen Rolle Deutschlands haben. Insofern ist die Einschätzung von Marschall Grodzki verständlich.

Völlig anders klingen die Töne aus dem PiS-Lager. Die PiS hat sich entschieden, eine anti-deutsche Mobilisierung zu einem zentralen Element ihres Wahlkampfes zu machen. Dabei gibt es durchaus ein Spektrum von halbwegs moderat bis zu total konfrontativ, aber vorherrschend sind eindeutig die harten Töne.

Das WSF fiel dieses Jahr wie schon 2021 zeitlich mit dem Tag der Deutschen Einheit zusammen. Zum entsprechenden Empfang in der deutschen Botschaft, bei dem Außenministerin Annalena Baerbock die Hauptrednerin war, entsandte die PiS-Regierung als höchstrangigen Vertreter einen Unterabteilungsleiter des Außenministeriums. Außenminister Rau nutzte seinerseits diesen Tag für eine Demonstration besonderer Art: Er unterzeichnete mit großer Öffentlichkeit eine Verbalnote Polens an Deutschland, in der Reparationen von mehr als einer Billionen Euro gefordert werden. Minister Rau fand andererseits keine Zeit, Annalena Baerbock zur Warsaw Security Conference zu begleiten, bei der Deutschland dieses Jahr das Partnerland war und bei der Annalena eine Rede hielt und an einem Panel teilnahm. Die Bundesaußenministerin ließ sich von den Unfreundlichkeiten nicht aus der Ruhe bringen und wurde von allen, mit denen ich sprach, für ihre Auftritte sehr gelobt. Die PiS-Seite allerdings ließ sich von der um Deeskalation bemühten deutschen Haltung kein bisschen beeinflussen, sondern versteifte sich auf unablässige Deutschlandkritik. Nun bin ich ja nicht der Meinung, das Polen nicht manchen Grund zur Kritik hätte. Schließlich haben wir Grüne jahrelang zum Beispiel gegen Nord Stream 2 gekämpft ein Projekt, das mehrere Bundesregierungen in trauter Einigkeit zwischen CDU/CSU und SPD gegen die Interessen Europas und insbesondere gegen die Interessen unserer osteuropäischen Nachbarn durchboxen wollten. Auch Kritik an manchen Zögerlichkeiten in der Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression, die Berlin an den Tag gelegt hat, haben wir durchaus verdient. Aber der Ton war sehr oft nicht der einer Auseinandersetzung zwischen Partnern, sondern der einer Anklage gegen einen Übeltäter. Einer der Gesprächspartner sagt unumwunden: „Wir vertrauen Deutschland nicht.“ Der Europaminister Szymański, der als moderater gilt, hatte sich in dem Podium mit Annalena Baerbock geweigert, eine solche Aussage zu treffen, obwohl der Moderator sie ihm gerne aufgenötigt hätte. Bei einer anderen Panel-Diskussion war dann allerdings ein Regierungsberater zu vernehmen, der davon schwadronierte, Polen werde von zwei Imperialismen bedroht, dem Russlands und dem Deutschlands. Der polemische Vorwurf, die EU sei eigentlich nur ein Instruments Deutschlands, um Polen zu unterdrücken, ist unter bestimmten PiS-Vertretern nicht selten anzutreffen. Und einer unserer Gesprächspartner ließ sich auch dazu hinreißen, in einer Diskussion über die Frage der Rechtsstaatlichkeit in Polen zynisch zu erklären, die Deutschen hätten den Polen ja schon öfter mal die Demokratie beigebracht, womit er uns die Nazi-Keule zeigen wollte.

Für einige der Gespräche in Warschau hatte ich mich mit Dietmar Nietan MdB, dem Polenkoordinator der Bundesregierung, und Uli Lechte, dem außenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, verabredet, um gemeinsam unser Interesse an der konstruktiven Gestaltung des deutsch-polnischen Verhältnisses zu zeigen. Fast könnte man sagen, das WSF bildete insgesamt den Rahmen für eine starke deutsche Gesprächsoffensive. Die Delegation aus Deutschland war nämlich außerordentlich zahlreich und auch hochrangig. Doch die Ansätze zu deutsch-polnischer Zusammenarbeit in Bereichen, in denen gemeinsame Interessen das offenkundig nahelegen, blieben jedenfalls in den Gesprächen mit PiS-Leuten in der Luft hängen. Vorträge über deutsche Sündenregister in Geschichte und Gegenwart erschienen zentraler als jene, wie beide Seiten durch praktische Kooperation Vertrauen wiedergewinnen könnte. Mit PiS wird in dem vor uns liegenden Jahr des Wahlkampfes nicht viel Produktives zu erreichen sein. Auch die Beschwörung der Gemeinsamkeiten gegenüber der russischen Aggression hilft über diese Blockade anscheinend nicht weg.

Es wäre nun aber falsch, sich bloß über die PiS und ihre antideutsche Propaganda aufzuregen. PiS versucht in agitatorischer Weise ein Gefühl für sich politisch auszuschlachten, das es in Polen bei sehr vielen Menschen gibt, auch solchen, die sich der Opposition zuzählen. Es ist das Gefühl, dass Deutschland den Polinnen und Polen historisch noch etwas schuldig sei. Die deutsch-polnische Aussöhnung hat die Tiefe der deutsch-französischen nicht erreicht. Das deutsche Engagement und Interesse gegenüber Polen ist schwach ausgebildet. Der Respekt gegenüber Polen wird dort als sehr steigerungsfähig wahrgenommen. Die Polen haben den Eindruck, dass von Deutschland aus ihnen gegenüber mit Blick auf die Verbrechen der Nazizeit eine Art Schlussstrich gezogen worden sei und dass wir Deutsche mit diesen Fragen nicht mehr behelligt werden wollten. Sie haben den Eindruck, dass die Polen damit schlechter behandelt würden als andere. Sie hören genau, wenn wir in Deutschland sagen, dass es keinen Schlussstrich geben darf mit Blick auf die deutschen Verbrechen gegen Jüdinnen und Juden und sie argwöhnen, dass wir ihnen gegenüber da anderer Standards an den Tag legten. Deswegen sind die Menschen natürlich noch lange nicht für gigantische Reparationsforderungen, aber wenn das Bedürfnis, das es da meines Erachtens gibt, nicht angemessen adressiert wird, dann kann es für Konfrontationspolitik ausgeschlachtet werden. Bundestagsabgeordnete wie Dietmar Nietan, Paul Ziemiak oder Manuel Sarrazin, um einige besonders wichtige zu nennen, die sich lange um das deutsch-polnische Verhältnis gekümmert haben, hatten vor zwei Jahren den Bundestag ingesamt überzeugt, in Berlin einen Ort des Gedenkens für die Verbrechen gegenüber den Polen zu schaffen. Eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Botschafters in Polen Nikel hat dazu im September 2021 Vorschläge vorgelegt. Seitdem ist allerdings nicht wirklich etwas vorangegangen. Einer unserer Gesprächspartner bemängelte das ausdrücklich und verband es mit dem Vorwurf, es habe überhaupt in den letzten Jahren keine wahrnehmbaren Impulse für das deutsch-polnische Verhältnis von Berlin aus gegeben. Ich habe widersprochen, aber darum geht es nicht. Dass wir von Berlin aus oder auch von den Ländern das Nötige getan hätten, um dem deutsch-polnischen Verhältnis die Bedeutung zuzumessen, die ihm in Europa zukommen muss, kann man schlicht nicht behaupten. Und das heißt nicht, dass wir nun bei der jahrelangen Auseinandersetzung mit der PiS-Regierung über die Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipen weich werden sollten, es heißt aber, dass wir trotz dieser Auseinandersetzung Wege finden müssen, deutlich zu machen, dass wir daran interessiert sind, Polen als gewichtigen Partner zu haben, dem auch in der EU ingesamt eine bedeutende Rolle zukommt.

Wenn die polnische Opposition nächstes Jahr tatsächlich die Wahl gewinnen sollte, kann sicherlich ein neues Blatt im Buch der deutsch-polnischen Beziehungen aufgeschlagen werden. Es sollte aber niemand annehmen, dass die Probleme, die von PiS in böser Weise instrumentalisiert werden, verschwinden würden, falls PiS nicht mehr an der Regierung ist. Deshalb ist meines Erachtens eine systematische Anstrengung zur Weiterentwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses notwendig. Diese Anstrengung muss auf zwei Beinen gehen, sie muss geschichtspolitisch agieren und zugleich nach vorne gerichtete Projekte der intensivierten Zusammenarbeit identifizieren. Die Zusammenarbeitsprojekte können in den Bereichen Energie, Infrastruktur, Sicherheit liegen; sie könnten sich auch des Weimarer-Dreiecks bedienen, eines vor 30 Jahren entwickelten Modells der deutsch-französisch-polnischen Kooperation. Geschichtspolitisch gibt es in absehbarer Zeit vor allem zwei Daten. Am 19.4.2023 jährt sich zum achtzigsten Mal der Aufstand im Warschauer Ghetto. Und am 1.8.2024 jährt sich zum achtzigsten Mal der Warschauer Aufstand. Wir müssen dringend darüber nachdenken, wie Deutschland diesen beiden Daten gerecht werden kann.

SONST NOCH

Am vergangenen Wochenende fanden die Wahlen in Bosnien Herzegowina statt. Erfreulicherweise wurden die nationalistischen Kandidaten nicht gestärkt, sondern geschwächt. Hier geht es zu meiner Pressemitteilung.

In dieser Woche war ich auf dem Warschauer Sicherheitsforum und habe an verschiedenen Paneldiskussionen teilgenommen. Als Sprecher trat ich zum Thema: „China between the changing Transatlantic Landscape and worldwide interests“ auf.

Vom 07.10. – 09.10. bin ich in Aberdeen beim Parteitag der Scottish National Party, dort nehme ich als Speaker an zwei Panel-Diskussionen zu den Themen „Scotland in Europe: shaping an internationalist, progressive, independent nation“ und „Ukraine and the future of European security“ teil.

Am Donnerstag, den 13.10., veranstalte ich eine China-Konferenz in Brüssel, an der einige der weltbesten ChinaexpertInnen teilnehmen. Hier geht es zur Anmeldung. Alternativ kann die Veranstaltung auch per Livestream auf Youtube verfolgt werden.