Ab 1. November ist die neue EU Kommission im Am und kann mit der Arbeit, die sie sich vorgenommen hat, loslegen. Präsident Jean-Claude Juncker hat seinem Team eine neue Struktur verpasst, welche für mehr Effizienz in der Arbeit und für mehr Konzentration aufs Wesentliche dienen soll.
Soweit seine Rechnung aufgeht, wird er dafür sicher Beifall ernten, aber eine Garantie aufs Funktionieren kann er nicht geben. Es wird sehr stark vom Willen der einzelnen Mitglieder der Kommission abhängen, ob die vielfältigen Kooperationspflichten, die Juncker ihnen auferlegt hat, ausgefüllt werden oder aber sich als Sollbruchstellen persönlicher und nationaler Eifersüchtelei erweisen werden.
Kein leichter Start: Eine Menge Stolpersteine
Die Mitgliedsländer der EU haben, noch bevor die neue Kommission ins Amt kommt, gleich mehrfach demonstriert, dass sie selbiger die Arbeit nicht leicht machen werden. Die empörenden Entscheidungen des EU Gipfels zur Klima- und Energiepolitik fallen besonders auf. Sie stellen Kommission und Europäisches Parlament vor die schwierige Aufgabe, ein zentrales Zukunftsthema vernünftig zu gestalten – nachdem und obwohl der europäische Rat festgelegt hat, dass in Zukunft jeweils der Langsamste, der Widerwilligste, der Uneinsichtigste, der Egoistischste oder der Zunftsvergessendste im Rat die Schlagzahl vorgeben soll. Anders lässt sich ja die Entscheidung für das wiederbelebte Einstimmigkeitsprinzip in diesen Fragen nicht lesen.
Ein zweites Exempel für Blockade aus den Mitgliedsländern findet sich im Bereich der Ressourceneffizienz. Gegen einen Vorschlag der italienischen Präsidentschaft und gegen den ausdrücklichen Wunsch der Kommission, im Widerspruch auch zu dem vor dem Sommer von der alten Kommission vorgelegten Paket zur Kreislaufwirtschaft, hat in dieser Woche die Mehrheit im Umweltministerrat entschieden, noch nicht einmal ein unverbindliches Ressourceneffizienzziel bis 2020 zu verabreden. Dabei spielte übrigens auch die deutsche Bundesregierung eine schäbige Rolle. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ließ sich vom Kanzleramt vorschreiben, dass auch Deutschland einem solchen Ressourceneffizienzziel widerspricht, obwohl die Verabredung eines solchen Zieles auf europäischer Ebene die logische Konsequenz des vom Bundeskabinett noch zu schwarz-gelber Zeit verabredeten Programmes Ressourceneffizienz (PROGRESS) gewesen wäre.
Drittes Beispiel: transatlantischer Handel. Wie jetzt bekannt wurde, hatten 14 Mitgliedsländer der EU, einschließlich Deutschlands, vor Präsident Junckers Rede im Europäischen Parlament diesen davor „gewarnt”, der öffentlichen Kritik am Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) im Hinblick auf den geplanten, multinationale Konzerne privilegierenden, Investorenschutz, Zugeständnisse zu machen. Juncker signalisierte trotzdem, dass er den einseitigen Investorenschutz nicht mitmachen wollte. Aber der Vorgang selbst spricht Bände.
Viertes Beispiel: Jean Claude Juncker hat im Europäischen Parlament auch berichtet, es sei versucht worden, Druck auf ihn auszuüben, damit er seinen Plan eines 300 Milliarden Investitionsprogrammes aufgebe. Man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, dass es vor allem die Fans des „Austeritätsdenkens” unter den Mitgliedsländern waren, die versucht haben, Junckers Neuorientierung der europäischen Wirtschaftspolitik von Anfang an zu blockieren. Wachen vielleicht auch diejenigen mal auf, die bis jetzt über das Fehlen solcher Neuorientierung vielfach beredt klagten, und fangen an zu mobilisieren?
Erkämpft sich die neue Kommission die nötige Eigenständigkeit? Und das Europaparlament?
Insgesamt wird es spannend werden, ob die neue Kommission es schafft, Akzente zu setzen, wie Juncker es versprochen hat, und gerade auch dort, wo große Mitgliedsländer der EU nicht von vornherein Beifall zollen. Das aber muss genau die Rolle der Kommission sein: die Union vorantreiben, und nicht – wie Präsident Barroso es allzu oft tat – den mächtigen Mitgliedsländern zu Gefallen sein, um anschließend dann die Kritik am status quo an die nationalen Hauptstädte weiterzuschieben.
Juncker selbst hat Gestaltungswillen klar signalisiert. Es ist zu hoffen, dass seine Kommission mitmacht. Nicht von leichter Hand nannte er sie die “Kommission der letzten Chance”.
Eine große Frage ist natürlich, welche Rolle das Europäische Parlament in diesem Zusammenhang spielen wird. Von der durch die Europawahl gestärkten Schreihalsfraktion rechtsaußen – und manchmal auch ganz links – kann man nichts erwarten.
Große Verantwortung kommt aber auf die große Koalition zu, die sich zwischen Europäischer Volkspartei und Europäischer Sozialdemokratie herausbildet. Meine größte Sorge ist, dass sie sich als Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners erweisen wird. Als Koalition, die als Erste alle mutigen und profilierten Ideen wegkürzt. Als Koalition, die zum Transmissionsriemen nationaler Bedenkenträger wird.
Das Parlament anders aufstellen
Eigentlich muss man sagen: Das Europäische Parlament ist organisatorisch schlecht vorbereitet für die Aufgaben, die auf es zukommen. Da die Ausschüsse im Europäischen Parlament schon gebildet wurden, bevor die Zuschnitte der Verantwortungsbereiche der Kommission klar waren, ergibt sich jetzt mehrfach der Umstand, dass zwei oder sogar drei Ausschüsse für die Zusammenarbeit mit und die parlamentarische Kontrolle von einzelnen Mitgliedern der Kommission zuständig sind. Das betrifft vor allem auch die Schwerpunktprojekte, die Juncker seinen Vizepräsidenten aufgegeben hat. Wie unter diesen Umständen eine wirksame parlamentarische Mitwirkung an der Gesetzgebung und eine effektive Kontrolle des Exekutivhandelns gewährleistet werden soll, ist noch ein großes Geheimnis.
Richtig wäre es eigentlich, die Aufgabenbereiche der Parlamentsausschüsse entsprechend den Aufgabenbereichen der Mitglieder der Kommission zu definieren. Auch wenn es dann jedesmal nach der Bildung einer neuen Kommission etwas länger dauern würde, bis die Posten im Parlament verteilt werden. Ich meine, das Europäische Parlament sollte seine eigenen Regeln so ändern, dass wir in 5 Jahren jedenfalls in der Lage sein könnten, durch effizientere Strukturierung dem theoretisch großen Einflusspotential des Parlaments auch praktischen Ausdruck zu verschaffen.
Unklar ist meines Erachtens darüber hinaus, wie das Europäische Parlament für sich selbst den Anspruch verwirklichen will, die Arbeit eher auf die großen Dinge zu konzentrieren und weniger auf die kleinen. Die ersten Schritte bei der Gestaltung der Agenden verschiedener Ausschüsse legen eher den Schluss nahe, dass der Schuss nicht überall gehört wurde. Wenn Ausschussmitarbeiter und Leute mit Führungsverantwortung lächelnd erzählen, man verteile großzügig Initiativberichte, damit Abgeordnete etwas zu tun hätten, klingt das nicht, als wollten sie die Konzentration auf das Wesentliche zur Richtschnur machen.
Chancen ergreifen
Mir scheint, es gäbe eine ganze Reihe von strategischen Aufgaben, mit denen das Europäische Parlament sich zu befassen hätte und für die es nicht genug Zeit hat, sofern es sich im Klein-Klein verläuft: Wie verbessern wir Europaparlamentarier die Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten, sowohl in Sachfragen als auch bei der Kontrolle des Exekutivhandelns, und wie machen wir dabei guten Gebrauch vom Subsidiaritätsprinzip? Welche Rolle will das Europäische Parlament spielen bei der BREXIT-Debatte – der Diskussion um den angedrohten britischen Austritt aus der EU? Wie will das europäische Parlament in den außenpolitischen Fragen, welche in den vor uns liegenden 5 Jahren an Gewicht gewinnen werden, Einfluss nehmen? Welche weiteren Schritte können wir anpacken, um gegen den Einfluss von Lobbyinteressen, gegen bürokratische Selbstherrlichkeit und gegen populistische Verführung vorzugehen und europäische Demokratie zu stärken?
Wenn ich mir das ganze europäische politische Panorama ansehe, denke ich: das wird anstrengend, das wird spannend. Ergreift Junckers Kommission die “letzte Chance” tatsächlich? Ergreift das Europäische Parlament seine? Wir werden wohl Hilfe brauchen. Aber ich gehe mit Optimismus dran.